Der Erfolg des Windenergiesektors wird entscheidend für das Erreichen der Klimaziele Deutschlands sein. Die in Windparks erzeugte Energie möglichst effizient zu nutzen, ist eine der zentralen Herausforderungen der Branche. So wird geschätzt, dass Windenergieanlagen im Jahr 2019 bundesweit etwa 5,4 Terawattstunden überschüssige Energie erzeugten, die aufgrund von Engpässen im Stromnetz nicht genutzt wurden1. Gleichzeitig ist das Wachstum des IT-Sektors in Deutschland mit einem derzeitigen Verbrauch von 16 Terawattstunden eine wichtige Quelle für die steigende Energienachfrage2. Obwohl die Computerinfrastruktur für die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit des Landes wichtig ist, muss die IT-Branche erneuerbare Energien effizienter nutzen. Nur so kann das Land seinen Energiebedarf decken und gleichzeitig seine Ziele zur Verringerung der Kohlenstoffemissionen erreichen.
08. Mai 2023
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Das Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS) leitet seit Kurzem ein neues Forschungsprojekt, dass Strategien ermittelt, um diese Herausforderungen auf strukturierte Weise anzugehen. Das Projekt namens WindHPC (In Windkraftanlagen integrierte Second-Life-Rechencluster) wird zum ersten Mal Recheninfrastrukturen an Standorten der Windenergieerzeugung mit einem Höchstleistungsrechenzentrum kombinieren. Ziel des Projekts ist es, überschüssige Energie aus Windkraftanlagen effizient einzusetzen und vermehrt Ökostrom in der rechenintensiven Forschung zu nutzen.
WindHPC verfolgt eine ganzheitliche Strategie mit Fokus auf Hardware und weitere Elemente des Lösungsprozesses, die sich auf die Energieeffizienz von Simulationen auswirken. Hierfür wird genau untersucht, wie Rechenaufgaben innerhalb einer verteilten Rechenarchitektur zugewiesen werden, wie die aus einer Simulation gewonnenen Daten verwaltet und wie Simulationsalgorithmen ausgewählt werden. Auf diesen Ebenen wird WindHPC den Stromverbrauch und die Leistung als Basis für Kosten-Nutzen-Analysen heranziehen, die das Höchstleistungsrechnen (HPC) nachhaltiger machen könnten.
Das HLRS koordiniert WindHPC und arbeitet in dem Projekt mit mehreren deutschen Forschungsinstituten und der Industrie zusammen, unter anderem der WestfalenWIND IT GmbH & Co KG | windCORES. Das Unternehmen hat 2019 den German Data Center Award für seinen Ansatz, Computer-Racks vor Ort an Windenergieanlagen zu betreiben, gewonnen. Weitere Projektpartner sind die Helmut-Schmidt-Universität (HSU), die Technische Universität München (TUM), die Technische Universität Berlin (TUB), die Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) und das Visualisierungsinstitut der Universität Stuttgart (VISUS).
WindHPC wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) innerhalb der GreenHPC-Initiative gefördert.
Die HPC-Industrie ist seit geraumer Zeit von der Nachfrage nach neuen, leistungsfähigeren Systemen getrieben, die Simulationen mit höherer Präzision in kürzerer Zeit ermöglichen. WindHPC testet jedoch eine alternative Strategie, bei der kleinere, stillgelegte Recheninfrastrukturen in einem sogenannten „zweiten Lebenszyklus“ eingesetzt werden. Mithilfe von gespendeter Hardware wird WindHPC ein Second-Life-System an einem Windparkstandort aufstellen. Ein Software-Planungssystem wird dort die Rechenaufgaben zu Zeiten, in denen überschüssige Windenergie verfügbar ist, darauf verteilen. Über Hochgeschwindigkeitsdatennetze des Deutschen Forschungsnetzes (DFN) werden diese entfernten Systeme mit dem Supercomputer Hawk des HLRS verbunden.
Die Verteilung einer Simulation über ein Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Bewegung und Speicherung von Daten dar, sodass die Informatiker:innen am HLRS die dafür notwendigen Arbeitsabläufe optimieren werden. In Simulationen werden Ergebnisdaten erzeugt. Daher werden die Forschenden auch Metadatenrahmen implementieren, die den FAIR-Grundsätzen (Auffindbarkeit, Zugänglichkeit, Interoperabilität und Wiederverwendbarkeit) entsprechen. Dies wird es ermöglichen, sie in Datenbanken zu integrieren, wie z.B. in die MolMod-Datenbank für molekulare Modelle, die vom RPTU Kaiserslautern-Landau verwaltet wird. Dieser Ansatz könnte dazu führen, dass andere Forschende in Zukunft weniger ähnliche Simulationen durchführen müssen. Das hat zur Folge, dass der Energiebedarf der Forschung weiter sinken würde.
WindHPC verfolgt eine ganzheitliche Strategie, bei der verschiedene Aspekte der Energieeffizienz im Höchstleistungsrechnen auf koordinierte Weise untersucht werden.
Während die Simulationen auf dieser ungewöhnlichen Rechnerarchitektur ausgeführt werden, wird WindHPC Energie- und Leistungsdaten auf Knotenebene erfassen und analysieren. Codes, die auf dem System laufen, werden überwacht und ihr Energieverbrauch wird anhand wichtiger Energiemetriken bewertet. Das HLRS wird gemeinsam mit der TUB und der HSU neue Methoden erforschen und entwickeln, um diese Informationen für das Auto-Tuning von Algorithmen und die intelligente Planung einer Simulation zu nutzen. Ziel ist es, parallele Programmieraufgaben so zu formulieren und automatisch auf die Knoten zu verteilen, dass die Nutzung der Rechenressourcen optimiert und der Stromverbrauch gesenkt wird. Auf Clusterebene werden die Ingenieur:innen die Effizienz der parallelen Nutzung von Hawk und dem windparkbasierten System überwachen und dabei u.a. das Systemlebenszyklus-Management und die Auswirkungen von Schwankungen der Stromerzeugungskapazitäten, die sich beispielsweise aus wechselnden Windverhältnissen ergeben, untersuchen.
WindHPC wird sich auf HPC-Anwendungen für die Verfahrenstechnik in der chemischen Industrie konzentrieren, die von Wissenschaftler:innen der Technischen Universität Berlin und des RPTU bereitgestellt werden. Diese Anwendungen sollen zu digitalen Zwillingen weiterentwickelt werden, die von anderen Forschenden genutzt werden können. Darüber hinaus wird sich das WindHPC-Team intensiv mit dem Stromverbrauch befassen, der für die Visualisierung wissenschaftlicher Ergebnisse als letzten Schritt im simulationsbasierten Problemlösungsworkflow erforderlich ist. Hier wird die von VISUS zur Verfügung gestellte Software MegaMol zur Visualisierung von Simulationsergebnissen im Hinblick auf die Auswahl der Visualisierungsmethoden optimiert, um den Strombedarf zu reduzieren.
WindHPC wird Methoden entwickeln und testen, die Forschenden bei der Auswahl von Algorithmen helfen, die die Umweltauswirkungen systematischer berücksichtigen. Mithilfe von Leistungskennzahlen und Kosten-Nutzen-Analysen von Simulationsmethoden möchten die Forschenden besser verstehen, in welchen Fällen „approximatives Rechnen“ sinnvoll ist. Dabei werden präzise wissenschaftliche Ergebnisse mit möglichst geringem Energieverbrauch in Einklang gebracht.
Die Molekulardynamiksimulation ist beispielsweise eine typische Anwendung des Höchstleistungsrechnens, die genaue Simulationen von Phänomenen auf atomarer Ebene ermöglicht, aber sehr rechenintensiv ist. Klassische CFD-Simulationen hingegen benötigen weniger Rechenressourcen für ein Problem derselben Größenordnung, haben aber eine viel geringere räumliche Auflösung. Die Forschenden von WindHPC werden eine Kosten-Nutzen-Analyse durchführen, um das Verhältnis zwischen dem aus diesen verschiedenen Simulationsmethoden gewonnenen Wissen und ihrem Energiebedarf zu bewerten.
Die Ergebnisse könnten dazu beitragen, wichtige Fragen für die Zukunft des HPC zu beantworten: Steht das aus bestimmten Simulationen erhaltene Wissen in einem angemessenen Verhältnis zu der Energie, die sie verbrauchen? In welchen Situationen könnten kleinere, weniger präzise und energieintensive Algorithmen und Simulationen Forschenden dennoch die benötigten Informationen liefern?
Auf diese Weise wird WindHPC nicht nur die Machbarkeit des Rechnens mit grüner Energie auf die Probe stellen, sondern auch weitere Möglichkeiten erforschen, mit deren Hilfe Supercomputing nachhaltiger werden könnte.
— Christopher Williams
1. Bundesnetzagentur, Quartalsbericht Netz- und Systemsicherheit – Gesamtes Jahr 2019, 2020.
2. https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Deutsche-Rechenzentren-Wachstumskurs