Mit zunehmender Bekanntheit und Akzeptanz von Künstlicher Intelligenz (KI), maschinellem Lernen und Deep Learning öffnet die Überkreuzung von Informatik und Kunst eine Tür für neue Arten von Kreativität.
Ein Beispiel dafür ist die Arbeit der aus Tübingen stammenden Medienkünstlergruppe Lunar Ring. Dabei handelt es sich um eine Kollaboration von vier Wissenschaftlern, die sich im letzten Jahr zusammengeschlossen haben, um sich gemeinsam mit der Frage zu beschäftigen, wie Künstliche Intelligenz zu neuen Arten kreativer Ausdrucksmöglichkeiten verhelfen kann.
11. Mai 2020
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Schon kurz nach der Gründung von Lunar Ring lud die Kunsthalle Tübingen die Künstler ein, sich in die Ausstellung Herzstücke mit Gemälden aus der Sammlung der Kunsthalle Emden einzubringen. Obwohl die Wanderausstellung wegen der Coronavirus-Pandemie bis 2022 verschoben wird, kann man aktuell Werke von Lunar Ring in Tübingen bestaunen – Produktionen, denen die Meisterwerke der Emdener Kollektion zugrunde liegen und die mittels Künstlicher Intelligenz geschaffen wurden. Die Ausstellung läuft in der Kunsthalle Tübingen bis 7. Juni 2020.
Mittels eines Deep-Learning-Frameworks werden die Werke aus der Emdener Sammlung vom Computer neu interpretiert. Ein neuronales Netzwerk analysiert die Gemälde und deren Malstile. Während Spuren der Originalbilder beibehalten werden, werden zugleich neue Effekte produziert, die auf Basis der von diesem Netzwerk getroffenen Entscheidungen entstehen. (Video)
Standbild aus dem Video "1902-2012" von Lunar Ring. Bild: Lunar Ring.
Zur Umsetzung ihres Projektes hatte Lunar Ring mit dem Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS) und dem Media Solution Center Baden-Württemberg Kontakt aufgenommen. Letzteres ist eine gemeinnützige Organisation, die 2018 vom HLRS gemeinsam mit der Hochschule der Medien in Stuttgart und dem ZKM Karlsruhe (Zentrum für Kunst und Medien) gegründet wurde. Das Media Solution Center brachte die Tübinger Künstler mit KI-Experten des HLRS in Kontakt, die im Rahmen des CATALYST-Projekts den Lunar Ring-Vertretern aktive Hilfestellung anbieten und Zugriff auf den am HLRS installierten Cray-CS-Storm-Rechencluster verschaffen konnten.
Im ersten Schritt generierten die Lunar Ring-Künstler ein Deep Learning-Framework das es dem Computer ermöglichte, ästhetische Werte zu erkennen. Unter Nutzung dieses Rechenmodells untersucht die Software daraufhin weitere Bilder, um Kombinationen von Kunstwerken zu identifizieren, die in neuen, ansprechenden Ergebnissen resultieren.
„Die Idee, die wir verfolgen ist, das Phenomän Künstliche Intelligenz auf eine andere Weise zugänglich zu machen,“ erklärt Johannes Stelzer, ein Mitglied des Lunar Rings. „Die meisten Leute haben die Vorstellung, dass KI etwas sehr Kühles oder leicht Bedrohliches ist. Für uns ist KI jedoch auch etwas Warmes und Organisches, was auch kreativen Inhalt schaffen kann. Das heißt, wir wollen diese Box öffnen, sodass wir in diese Vorstellungswelt eintauchen und sehen und begreifen können, was wir wahrnehmen.“
Auch wenn für die Entwicklung des Trainingsmodells die privaten Laptops der Künstler ausreichend gewesen sind, war der Zugriff auf die leistungsfähigen Computing-Ressourcen des CS-Storm-Clusters des HLRS ein gewaltiger Vorteil. 8 Rechenknoten, bestückt mit jeweils 8 Nvidia V100-Grafik-GPUs und jeweils 32 GB Hauptspeicher standen den Tübinger Künstlern zur Verfügung – eine Rechenleistung, die für das Rendern der neuen Werke in der gewünschten sehr hohen grafischen Auflösung unabdingbar war. Nachdem die Bilder nach Tübingen übergeben worden waren, fügten die Künstler den Werken ihre computergesteuerten Flüssigkeitsalgorithmen hinzu, um auf diese Weise die Werke zu generieren, die nun in der Ausstellung zu sehen sind.
Zwei Videos von Lunar Ring sind aktuell in der Kunsthalle Tübingen zu sehen. Im ersten mit dem Titel „1902-2012“ kann der Betrachter auf einem großen 8K-LCD-Monitor nachverfolgen, wie sich der Einsatz dieses KI-Prozesses auf die Emden-Kollektion auswirkt. Ein zweites Video mit dem Titel „Wer malt denn da?“ zeigt Überblendungen der Emden-Kunstwerke mit Bildern, die von Tübinger Kindern gemalt wurden. Besucher der Ausstellung sind dazu eingeladen, weitere Gemälde zur Verfügung zu stellen, die im Verlauf der Ausstellung ebenfalls in die Sammlung integriert werden.
Wie der Computer wohl diese Werke interpretieren und sie nutzen wird…? Nicht einmal die Künstler selbst können hierzu eine Vorhersage tätigen.
Wer malt denn da?: Ein Projekt der Medienkünstlergruppe Lunar Ring ist bis zum 7. Juni 2020 in der Kunsthalle Tübingen zu sehen.
Ein Video, das die Arbeit von Lunar Ring demonstriert, ist auf YouTube verfügbar.