Seit der Jahrtausendwende hat Deutschland große Fortschritte bei der Solarenergieerzeugung gemacht. Wurde im Jahr 2000 noch weniger als ein Prozent des Stroms mit Solarenergie erzeugt, so waren es 2022 bereits rund elf Prozent. Eine Kombination aus lukrativen Subventionen für Hausbesitzer und technologischen Fortschritten zur Senkung der Kosten für Solarmodule hat dieses Wachstum gefördert.
Angesichts der weltweiten Konflikte, die die Zuverlässigkeit der Öl- und Erdgasmärkte beeinträchtigen, wird Solarenergie in den kommenden Jahren eine noch größere Rolle bei der Deckung des Energiebedarfs in Deutschland spielen. Obwohl die Solartechnologie in den vergangenen 25 Jahren große Fortschritte gemacht hat, arbeiten die Solarzellen in den heutigen Solarmodulen im Durchschnitt nur mit einem Wirkungsgrad von etwa 22 Prozent.
08. Mär 2024
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Um die Leistungsfähigkeit von Solarzellen zu verbessern, untersuchte ein Forscherteam um Prof. Wolf Gero Schmidt von der Universität Paderborn kürzlich mithilfe des Supercomputers Hawk am Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS), wie sich Licht in Strom umwandeln lässt. Ihre Simulationen fokussierte sich auf die Frage, wie die Entwicklung strategischer Verunreinigungen die Leistung von Solarzellen verbessern kann.
„Wir haben hierfür eine doppelte Motivation: An unserem Institut in Paderborn arbeiten wir seit geraumer Zeit an einer Methodik zur mikroskopischen Beschreibung der Dynamik optisch angeregter Materialien. Wir haben in den vergangenen Jahren mehrere Arbeiten zu diesem Thema veröffentlicht“, so Schmidt. „Kürzlich erhielten wir jedoch eine Unterstützungsanfrage von Mitarbeitern des Helmholtz-Zentrums Berlin. Sie wollten verstehen, wie diese Zellen auf einer fundamentalen Ebene funktionieren. Wir beschlossen, unsere Methode anzuwenden und zu sehen, was wir tun können.“
Kürzlich simulierte das Team mit Hawk, wie Exzitonen - eine Paarung aus einem optisch austretenden Elektron und dem Elektronenloch, das es zurücklässt - in Solarzellen kontrolliert und bewegt werden können, damit sich mehr Energie einfangen lässt. Während der Forschungsarbeit machte das Team eine überraschende Entdeckung: Es fand heraus, dass bestimmte, strategisch eingeführte Defekte im System den Exzitonentransfer verbessern, anstatt ihn zu behindern. Das Team veröffentlichte seine Ergebnisse in Physical Review Letters.
Die meisten Solarzellen bestehen, ähnlich wie viele moderne elektronische Geräte, hauptsächlich aus Silizium. Nach Sauerstoff ist es das zweithäufigste chemische Element auf der Erde, gemessen an der Masse. Rund 15 Prozent unseres Planets bestehen aus Silizium, darunter 25,8 Prozent der Erdkruste. Der Grundstoff für eine klimafreundliche Energieerzeugung ist also reichlich vorhanden und fast überall verfügbar.
Allerdings hat dieses Material einige Nachteile, wenn es darum geht, die Sonnenstrahlung einzufangen und in Strom umzuwandeln. In herkömmlichen, auf Silizium basierenden Solarzellen übertragen Lichtteilchen, sogenannte Photonen, ihre Energie auf verfügbare Elektronen in der Solarzelle. Die Zelle nutzt dann diese angeregten Elektronen, um einen elektrischen Strom zu erzeugen.
Das Problem dabei? Hochenergetische Photonen liefern weit mehr Energie als das Silizium in Strom umwandeln kann. Violette Lichtphotonen zum Beispiel haben eine Energie von etwa drei Elektronenvolt (eV), aber Silizium kann nur etwa 1,1 eV dieser Energie in Strom umwandeln. Der Rest der Energie geht als Wärme verloren. Somit geht zusätzlich gewinnbare Energie verloren und die Leistung und Haltbarkeit der Solarzellen wird verringert.
Seit einigen Jahren suchen Wissenschaftler:innen nach Möglichkeiten, einen Teil dieser überschüssigen Energie umzuleiten oder auf andere Weise einzufangen. Schmidts Team hat sich auf die Verwendung einer moleküldünnen Schicht aus Tetracen, einem anderen organischen Halbleitermaterial, als oberste Schicht einer Solarzelle konzentriert.
Tetracen spaltet im Gegensatz zu Silizium die entstehenden Exzitonen in zwei niederenergetische Anregungen auf, wenn es ein hochenergetisches Photon empfängt. Dies wird als Singulett-Spaltung bezeichnet. Eine sorgfältig entworfene Grenzschicht zwischen Tetracen und Silizium kann die entstehenden niederenergetischen Exzitonen von Tetracen in Silizium übertragen, wo sich der Großteil ihrer Energie in Elektrizität umwandeln lässt.
Unabhängig davon, ob Tetracen oder ein anderes Material zur Verbesserung herkömmlicher Solarzellen verwendet wird, wollten die Forscher die perfekte Schnittstelle zwischen den Bestandteilen einer Solarzelle entwerfen, um optimale Bedingungen für den Exzitonentransfer zu schaffen.
Unter Verwendung von ab initio Molekulardynamiksimulationen (AIMD) untersuchten Schmidt und sein Team, wie Teilchen in einer Solarzelle interagieren und sich bewegen. Auf Hawk führte das Team rechenintensive Berechnungen durch, um die Wechselwirkung mehrerer hundert Atome und ihrer Elektronen zu beobachten. Die Gruppe nutzt AIMD-Simulationen, um die Zeit in Femtosekunden-Intervallen voranzutreiben und zu verstehen, wie Elektronen mit Elektronenlöchern und anderen Atomen im System interagieren. Ähnlich wie andere Forschende wollte das Team Unzulänglichkeiten im System erkennen und es verbessern.
Auf der Suche nach der optimalen Schnittstelle fanden sie eine Überraschung: eine unvollkommene Schnittstelle könnte den Exzitonentransfer verbessern. In einem atomaren System haben Atome, die nicht vollständig gesättigt sind (d.h. sie sind nicht vollständig an andere Atome gebunden) sogenannte „baumelnde Bindungen“. Normalerweise gehen Forschende davon aus, dass baumelnde Bindungen zu Ineffizienzen in elektronischen Grenzflächen führen. In ihren AIMD-Simulationen fand das Team allerdings heraus, dass baumelnde Bindungen in Silizium tatsächlich den Exzitonentransfer über die Grenzfläche zusätzlich begünstigen.
„Ein Defekt impliziert immer, dass das System etwas Unerwünschtes enthält. In unserem Fall trifft das nicht zu“, sagte Prof. Uwe Gerstmann, Professor an der Universität Paderborn und Projektmitarbeiter. „In der Halbleiterphysik haben wir bereits strategisch Defekte eingesetzt, die wir Donatoren oder Akzeptoren nennen. Sie helfen uns, Dioden und Transistoren zu bauen. In strategischer Hinsicht können Defekte uns also sicherlich dabei helfen, neue Technologien zu entwickeln.“
Dr. Marvin Krenz, Postdoktorand an der Universität Paderborn und Hauptautor der Forschungsarbeit, wies auf den Widerspruch zwischen den Ergebnissen des Teams und dem aktuellen Stand der Solarzellenforschung hin. „Die derzeitige Richtung der Forschung zielt darauf ab, zunehmend perfektere Grenzflächen zu entwerfen und Defekte um jeden Preis zu entfernen. Unsere Arbeit könnte für die größere Forschungsgemeinschaft interessant sein, weil sie einen alternativen Weg für die Entwicklung dieser Systeme aufzeigt “, sagte er.
Mithilfe dieser Erkenntnisse plant das Team nun künftige Rechenkapazitäten für die Entwicklung vollkommen unvollkommener Schnittstellen ein. Da das Team weiß, dass baumelnde Siliziumbindungen diesen Exzitonentransfer fördern können, möchte es mit Hilfe von AIMD eine zuverlässige Schnittstelle mit verbessertem Exzitonentransfer entwerfen. Für das Team geht es nicht darum, von heute auf morgen die perfekte Solarzelle zu entwickeln, sondern die nachfolgenden Generationen der Solartechnologie weiter zu verbessern.
„Ich bin zuversichtlich, dass wir den Wirkungsgrad von Solarzellen mit der Zeit weiter verbessern werden“, so Schmidt. „In den letzten Jahrzehnten haben wir bei den verschiedenen Solarzellenarchitekturen eine durchschnittliche jährliche Steigerung des Wirkungsgrads von etwa einem Prozent erlebt. Arbeiten, wie wir sie hier durchgeführt haben, lassen für die Zukunft weitere Verbesserungen erwarten. Grundsätzlich ist eine Erhöhung des Wirkungsgrads um den Faktor 1,4 mithilfe der konsequenten Nutzung der Singulett-Spaltung möglich.“
—Eric Gedenk
Krenz M, Gerstmann U, Schmidt WG. 2024. Defect-assisted exciton transfer across the tetracene-Si(111):H interface. Phys Rev Lett. 132: 076201.
Hawk wurde vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung über das Gauss Centre for Supercomputing (GCS) gefördert.
Dieser Artikel basiert auf einem Artikel, der zuerst auf der Website des Gauss Centre for Supercomputing veröffentlicht wurde.