Hawk im Einsatz zur Verbesserung der Nanomedizin

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Forschende nutzen den Supercomputer Hawk des Höchstleistungsrechenzentrums Stuttgart für Molekulardynamiksimulationen, die die Effizienz von mRNA-basierten Behandlungen steigern. Bildnachweis: G. Settanni et al., Macromol. Rapid Commun. 2021, 2100683

Der mRNA-Impfstoff für COVID-19 war der erste seiner Art. Mit ihm zeigte sich das Potenzial eines neuen biomedizinischen Paradigmas. Die computergestützte Forschung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz könnte Chancen für mRNA-basierte Arzneimittel eröffnen.

Einige Monate nach Beginn der COVID-19-Pandemie wurden wir an einen Begriff erinnert, der bei vielen von uns vermutlich seit dem Biologieunterricht in der Schule in Vergessenheit geraten ist: Boten-RNA oder mRNA (messenger RNA). mRNA ist üblicherweise an der Transkription und Übersetzung (Translation) der wichtigen genetischen Informationen beteiligt, die für die Herstellung von Proteinen in der DNA enthalten sind – die Molekülklasse, die allem Leben auf der Erde zugrunde liegt.

Seit Jahrzehnten erforschen Wissenschaftler:innen, wie sich die Fähigkeiten von mRNA zur Informationsübertragung nutzen lassen, um Medikamente in den Körper zu geben. Während der Coronavirus-Pandemie haben Forschende des deutschen Biotechnologieunternehmens BioNTech und des amerikanischen Pharmakonzerns Pfizer als Erste klinische Versuche mit einem mRNA-Impfstoff erfolgreich abgeschlossen und erhielten eine Lizenz für den medizinischen Einsatz.

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Bei herkömmlichen Impfstoffen wird einem Menschen abgetötete oder abgeschwächte Bestandteile eines Virus injiziert, um eine Immunreaktion auszulösen. Das Immunsystem „merkt“ sich diese Reaktion und kann sie erneut einsetzen, wenn der Körper mit einem aktiven Virus infiziert wird. Im Gegensatz dazu enthalten mRNA-Impfstoffe einen Teil der genetischen Sequenz eines Virus. Wenn sie übersetzt werden, lösen die daraus resultierenden Proteine die Immunreaktion aus und trainieren den Körper erneut, auf eine Infektion zu reagieren. Da für mRNA-Impfstoffe keine Virusproben erforderlich sind, können sie viel schneller hergestellt werden.

Dieser neue Ansatz für die Entwicklung von Impfstoffen ist jedoch nicht unproblematisch. Wenn mRNA-Impfstoffe gegen andere Krankheiten eingesetzt werden sollen, müssen sie an die Stellen im Körper gebracht werden, an denen sie benötigt werden. Impfstoffe wie die von BioNTech und Pfizer verwenden Nanopartikel, die spezielle Lipide enthalten, um ihre therapeutische Fracht in bestimmte Zellen zu liefern.

„Die spezifische Zusammensetzung der lipidbasierten Nanopartikel ist entscheidend dafür, wie effizient die mRNA in die Zielzellen transportiert und dort freigesetzt wird, um Proteine zu produzieren“, erklärt Dr. Giovanni Settanni, Wissenschaftler an der Johannes Gutenberg-Universität (JGU) Mainz. „In den aktuellen Formulierungen sind nur zwei Prozent der injizierten RNA wirklich produktiv. Wir müssen genauer verstehen, wie die Nanopartikel auf molekularer Ebene funktionieren und effizientere Lipidformulierungen entwickeln.“ Um die besten lipidbasierten Partikel für den Wirkstofftransport zu identifizieren, nutzen Settanni und seine Mitarbeiter an der JGU und bei BioNTech Supercomputer des Höchstleistungsrechenzentrums Stuttgart (HLRS), um weitreichende Molekulardynamiksimulationen durchzuführen.

Höhere Erfolgsquoten führen zu besseren Therapeutika

Verwenden Biomediziner:innen mRNA bei der Herstellung von Virusproteinen, so müssen sie sicherstellen, dass die Moleküle nicht vorzeitig abgebaut werden und dass sie eine Zellmembran sicher passieren, ohne vorher von Antikörpern angegriffen zu werden. Vor der Pandemie gab es vielversprechende Forschungsergebnisse zur Verwendung von Lipid-basierten Nanopartikeln (LNPs), Lipoplexen und Liposomen für mRNA-basierte Behandlungen.

Settannis Mitarbeitende haben bei der Erforschung der inneren Struktur von LNPs experimentelle Techniken eingesetzt. Untersucht wurde, wie die Lipidformulierungen mit den RNA-Molekülen interagieren und wie dies die Transfektionseffizienz beeinflusst, d. h. die Menge an RNA, die erfolgreich in Proteine übersetzt wird. Experimentelle Ansätze allein können jedoch keine Details dieser Wechselwirkungen auf molekularer Ebene liefern. Mit Höchstleistungsrechnern sind Settanni und sein Team in der Lage, die Lipid-RNA-Wechselwirkungen in den Nanopartikeln genau zu modellieren, sodass die Forscher die Vorgänge auf molekularer Ebene beobachten können.

„Die umfangreichen Molekulardynamiksimulationen auf den Supercomputern des HLRS sind wie ein extrem leistungsfähiges Mikroskop, das die molekularen Aspekte eines Systems beleuchtet“, erklärte Settanni. „Sie liefern grundlegende Informationen, mit denen wir die experimentellen Daten über die LNPs auf molekularer Ebene interpretieren können. Dank der Simulationsergebnisse können wir bessere Nanopartikel entwickeln.“

Mithilfe des Supercomputers Hawk am HLRS fanden Settanni und seine Mitarbeitenden heraus, dass der pH-Wert – der relative Säuregrad oder die Basizität einer Flüssigkeit – in diesem Vorgang eine wichtige Rolle spielt. Die Bindung der RNA an die Lipidformulierung bei niedrigem pH-Wert ist effizienter, während sich die beiden Molekülgruppen in Systemen mit hohem pH-Wert eher abstoßen. Dies hilft den Forschenden zu verstehen, wie sich die Struktur der Nanopartikel verändert, wenn sie von den Zellen aufgenommen werden und sich der pH-Wert von basisch zu sauer ändert.

„Die Simulationsergebnisse zeigen, dass wir mit dieser Technologie vielversprechende Lipidformulierungen für eine verbesserte Transfektionseffizienz schneller identifizieren können. Anhand der Simulationsergebnisse lässt sich auch ermitteln, wie einige der molekularen Ereignisse ablaufen könnten, die zur RNA-Übertragung führen“, sagte er.

HPC beschleunigt schnelllebige medizinische Forschung

Die Coronavirus-Pandemie hat zum einen die enge, aber schwierige Beziehung der Menschheit zu Mikroben deutlich gemacht. Zum anderen hat sich gezeigt, dass der Informationsaustausch und die Finanzierungsmechanismen zur Bekämpfung neu auftretender Krankheiten verbessert werden müssen. Obwohl sie sehr wirksam sind und in Rekordzeit entwickelt wurden, bieten die mRNA-Impfstoffe weiterhin Raum für Verbesserung: Sie müssen stabiler (z. B. Lagerung bei Raumtemperatur), effizienter (niedrige Dosierung mit entsprechend geringeren Nebenwirkungen) und spezifischer (auf verschiedene Gewebe ausgerichtet) werden. Die Kombination von experimentellen und computergestützten Ansätzen kann helfen, diese Ziele zu erreichen.

Leistungsfähigere Computer ermöglichen es Forschenden, umfangreichere und längere Molekulardynamiksimulationen durchzuführen und mithilfe von neuen Computerarchitekturen lassen sich neue Wege für langwierige wissenschaftliche Herausforderungen finden.

— Eric Gedenk

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Settanni G, Brill W, Haas H, Schmid F. 2022.  pH-Dependent behavior of ionizable cationic lipids in mRNA-carrying lipoplexes investigated by molecular dynamics simulationsMacromol Rapid Commun. 43(12): 2100683.

Hawk wurde vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung über das Gauss Centre for Supercomputing (GCS) finanziert.