Im Profil: Ein Leben im Supercomputing

Keyvisual image main
Erika Fischer zog 1961 nach Stuttgart und hat seither einen wichtigen Beitrag zum Wachstum des Supercomputing an der Universität Stuttgart geleistet. Sie ist immer noch an der Planung der nächsten großen Erweiterung des HLRS, HLRS III, beteiligt.

Seit mehr als 60 Jahren spielt Erika Fischer wichtige Rollen bei der Planung und der Pflege modernster Infrastrukturen für das Hoch- und Höchstleistungsrechnen an der Universität Stuttgart.

Wenn wir auf die Geschichte des Hoch- und Höchstleistungsrechnens zurückblicken, haben nur wenige heute noch lebende Menschen so viel erlebt wie Erika Fischer. Nachdem sie 1961 kurz vor dem Bau der Berliner Mauer aus der DDR geflohen war, kam Fischer als Flüchtling in Stuttgart an und teilte sich eine Dreizimmerwohnung mit zwei Familien, die ebenfalls die DDR verlassen hatten. Da sie zuvor an der Bauhaus-Universität Weimar arbeitete, bot sich eine Stelle bei Prof. John Argyris am Institut für Statik und Dynamik der Luft- und Raumfahrt (ISD) der Universität Stuttgart für sie an. Sie begann bald in Argyris technischer Abteilung zu arbeiten, wo sie eine umfassende Ausbildung in Computerwartung erhielt. Damals ahnte wohl noch niemand, dass sie mehr als 60 Jahre lang einen wichtigen Beitrag zum Wachstum des Supercomputing in Stuttgart leisten würde.

Veröffentlicht am

Fischer begann ihre Laufbahn in der vordigitalen Ära, als Computer noch aus beweglichen Teilen bestanden und die Ein- und Ausgabe von Algorithmen aus in Papier gestanzten Löchern bestand. Bald war sie dafür verantwortlich, dass die Systeme funktionsfähig blieben, und führte auch Notreparaturen durch. „Das war wichtig, weil die Rechner damals nicht die Stabilität hatten wie heute“, erinnert sie sich. „Von Anfang an war es mir wichtig, die Nutzer zufrieden zu stellen, ihnen ausreichend Ressourcen anzubieten und die Ausfallzeiten so gering wie möglich zu halten.“

Zu dieser Zeit war dies mehr als ein Vollzeitjob. Oft musste Fischer am Küchentisch Schaltpläne studieren oder wurde zum Rechner gerufen, wenn ein Teil nicht funktionierte. Ihr Mann war als Spezialist für den technischen Support von Computern oft unterwegs, was die Arbeit für die junge Mutter manchmal zu einem schwierigen Spagat machte. „Als mein Sohn noch klein war, habe ich ihn bei Rechnerausfällen in der Tasche mitgenommen und ihn neben die Konsole gestellt“, erinnert sie sich liebevoll an diese Zeit. „Als er etwas älter war und ein Telefon benutzen konnte, wusste er, dass er mich anrufen konnte, wenn er aufwachte.“

Als Fischers Verantwortlichkeiten wuchsen, wurde sie stellvertretende Abteilungsleiterin, was ein größeres Aufgabenspektrum umfasste, u.a. Benutzer-,  Personal- und Ressourcenverwaltung sowie die Beaufsichtigung der Infrastruktur. Da die Supercomputer immer leistungsfähiger und komplexer wurden, musste sie auch mindestens ein Auge auf die Zukunft haben. So wirkte sie bei der Beschaffung neuer IT-Systeme mit und war für die erforderlichen Infrastrukturanpassungen zuständig.

„Es war immer wichtig, Jahre in die Zukunft zu denken“, erklärt Fischer. „Man muss vorhersehen, wie sich die Rechengeschwindigkeit und die entsprechenden Größen- oder Raumanforderungen verändern. Irgendwann ist im bestehenden Raum immer Schluss.“

Als sich das wissenschaftliche Rechnen in Stuttgart weiterentwickelte, wurden die ISD-Rechensysteme in das regionale Rechenzentrum integriert, das sich dann zum Rechenzentrum der Universität Stuttgart (RUS) entwickelte. Mit der wachsenden Arbeitsbelastung, die mit einer schnell wachsenden Nutzergemeinschaft einherging, plante Fischer zunehmend neue Einrichtungen.

1996 wurde das Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS) als neue Einheit gegründet, und Fischer erkannte, dass es mehr Platz, eine höhere Leistungskapazität und so viel Flexibilität wie möglich benötigen würde, um den besonderen Anforderungen der HPC-Benutzer gerecht zu werden. In den folgenden Jahren verfasste sie Positionspapiere und leistete viel Überzeugungsarbeit bei den zuständigen Gremien für den Bau eines neuen Gebäudes. Ohne ihren Einsatz wäre der heutige Standort des HLRS in der Nobelstraße 19 womöglich nie gebaut worden.

Als Fischer sich 2002 dem Rentenalter näherte, waren die Planungen für die neue Einrichtung in vollem Gange und sie war intensiv daran beteiligt. Da Kontinuität und Fachwissen weiterhin gefragt waren, arbeitete sie auf vertraglicher Basis weiter am Zentrum, um den erfolgreichen Abschluss des Projekts zu gewährleisten. Aber auch in dieser Rolle gab es viel zu tun. Bei der Planung einer so komplexen Einrichtung wie einem Höchstleistungsrechenzentrum müssen unzählige Details beachtet werden – von der Stromversorgung über die Sicherheit und den Brandschutz bis hin zur Planung komfortabler Arbeitsplätze und vielen anderen Aspekten – und Fischer blieb eine wichtige Ansprechpartnerin für Planer:innen, Ingenieur:innen und Bauarbeiter:innen.

Auch nach der Eröffnung des neuen HLRS-Gebäudes im Jahr 2004 kümmerte sich Fischer weiterhin um die zahlreichen Dienstleistungsverträge, die für den reibungslosen Betrieb des Zentrums erforderlich waren. Als es an der Zeit war, das HLRS weiter auszubauen, beaufsichtigte sie die Planung und Errichtung des Schulungsbaus des HLRS, das im Jahr 2017 eingeweiht wurde.

Trotz ihres Alters ist Erika Fischer nicht zu bremsen. Gemeinsam mit Dr. Ralf Schneider vom HLRS spielt sie weiterhin eine zentrale Rolle bei der Planung der nächsten großen Erweiterung des HLRS – dem Bau eines von HLRS III, der Anfang 2025 beginnen soll. In diesem Gebäude wird der neue Exascale-Supercomputer des Zentrums und des Gauss Center for Supercomputing – namens Herder – von 2027 an stehen. Das ist tatsächlich weit entfernt von Löchern im Papier.

Im Rückblick auf ihr Leben im Höchstleistungsrechnen nennt Fischer drei Dinge, auf die sie besonders stolz ist: „Für mich war es sehr wichtig, dass ich die Entwicklung der Informationstechnologie von Anfang an mitverfolgen konnte. Die Universität Stuttgart war eine der Pionieruniversitäten und es ist schön zu sehen, was hier passiert ist. Ich habe auch gelernt, dass man als Einzelner Großes erreichen kann, wenn man vernünftige Ziele hat und die Entschlossenheit, angesichts von Schwierigkeiten nicht aufzugeben. Und schließlich hat es mir Freude bereitet, dass meine Projekte für andere von großem Wert sind, auch für Wissenschaftler und andere, die ihre Rechenergebnisse schnell und zuverlässig brauchen.“

Obwohl Fischers „Ruhestand“ nicht typisch ist, ist es klar, dass ihr Engagement für das HLRS weiterhin eine Quelle großer persönlicher Motivation ist. „Meine Tätigkeit an der Uni Stuttgart war hochinteressant, ein Leben lang. Und ich hatte auch das Glück, mit tollen Kollegen und Nutzern zu arbeiten. Ich kann mich nicht beklagen und das ist doch schön, wenn man sowas sagen kann.“

Christopher Williams