Könnte künstliche Intelligenz Mozart ersetzen?

Foto des Stuttgarter Kammerorchesters bei einem Auftritt.
Mitglieder des Stuttgarter Kammerorchesters spielten im Atrium der Stadtbibliothek Stuttgart. Foto: Kai Loges, © die arge lola

Bei einer Podiumsdiskussion und einem Konzert in der Stadtbibliothek Stuttgart wurden erste Forschungsergebnisse des Stuttgarter Kammerorchesters, des ZKM und des HLRS vorgestellt.

Mit dem zunehmenden Bewusstsein für künstliche Intelligenz (KI) und dem Zugang zu KI-Anwendungen werden die Möglichkeiten der Technologie für ein breites Spektrum an Disziplinen erkundet. Die Kreativbranche ist dabei keine Ausnahme. Über das Media Solution Center Baden-Württemberg organisiert haben Wissenschaftler:innen des Höchstleistungsrechenzentrums Stuttgart, des Stuttgarter Kammerorchesters, der Hochschule der Medien und des Hertz-Labors am Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe ihre Expertise gebündelt und eine provokante Frage untersucht: Könnte ein Algorithmus eine neue Komposition erzeugen, die sich stilistisch nicht von einem Werk Mozarts unterscheiden lässt?

In einer Veranstaltung im Rahmen der BMBF-geförderten Reihe Fragen an KollegIn KI, erklärte der geschäftsführende und künstlerische Intendant des SKO, Markus Korselt, dass die Forschung eine Geschichte der Innovation fortsetzt, die schon lange ein Markenzeichen des Orchesters ist. „Als ich vor fünf Jahren zum Kammerorchester stoßen durfte, war die Frage, was ist denn heute der unentdeckte musikalische Nordpol? Wo können wir heute unseren Pioniergeist zeigen?“, sagte er. „Und eine Antwort davon war, das ist die Digitalisierung. Wir stürzen uns damit los in ein völlig amorphisches Thema und versuchen aus dieser Technik künstliches Potenzial auszuringen. Wir versuchen unser Ausdrucksspektrum zu erweitern und sind auf der Suche nach neuen Inhalten.“

KI-Expert:innen unter der Leitung von Dennis Hoppe vom HLRS haben diese Bemühungen innerhalb des CATALYST-Projekts unterstützt, um die Grenzen bei der Nutzung von Höchstleistungsrechnern auszuloten. „Wir haben nicht nur Berührungspunkte zu Ingenieurwissenschaft und Industrie, sondern wir sehen auch eine gesellschaftliche Relevanz“, erklärte er. „Durch das Media Solution Center versuchen wir unsere Expertise in die Gesellschaft zu tragen und wir sehen hier eine sehr schöne Möglichkeit, zur Kultur beizutragen.“

Podiumsdiskussion in der Stadtbibliothek Stuttgart. L-R: Felix Heidenreich (IZKT), Markus Korselt (Stuttgart Chamber Orchestra), Dennis Hoppe (HLRS), Ludger Brümmer (Hertz-Lab, ZKM). Foto: Kai Loges, © die arge lola.

 

Ludger Brümmer, Komponist, digitaler Künstler, und Leiter des Hertz-Labor am ZKM, stellte die auf maschinellem Lernen basierende Methodik vor, die das Team bei seinen Bemühungen, Mozart-ähnliche Kompositionen zu erzeugen, verwendet. Obwohl die Nachahmung eines berühmten Komponisten eine neue und spannende Herausforderung für die Forschung darstellt, wies er auch darauf hin, dass die Reproduktion der Musik der Vergangenheit nur ein Schritt ist, um ein viel interessanteres Problem anzugehen. „Die Frage ist“, sagte er, „wird so ein System kreativ sein und wird es die Musik von morgen machen können?“

In der Podiumsdiskussion, die von Felix Heidenreich vom Internationalen Zentrum für Kultur- und Technologiestudien der Universität Stuttgart moderiert wurde, ging es unter anderem darum, wie sich künstliche Intelligenz heute auf die Musik auswirkt und welche Rolle sie in Zukunft spielen könnte. Brümmer wies darauf hin, dass KI-Technologien für die Musikkomposition bereits kommerziell genutzt werden und bald eine kostengünstige Möglichkeit u.a. für die Produktion funktionaler Musik für Fernsehsendungen oder öffentliche Räume bieten könnte. Zum Stand der Technik in der KI merkte Hoppe an, dass mit der Verfügbarkeit größerer Supercomputer und Datensätze kaum Zweifel daran bestehen, dass Maschinen bald in der Lage sind, Komponisten kompetent zu imitieren. In der Diskussion über mögliche Einsatzszenarien von KI prognostizierte Korselt, dass vorstellbare Anwendungen von KI in der Musik mit hoher Wahrscheinlichkeit auch realisiert würden. Die Podiumsteilnehmer schlugen vor, dass KI zumindest aktuell am besten als Werkzeug in einem iterativen Prozess eingesetzt werden sollte, bei dem die Software Ideen generiert und die Künstler:innen diese überarbeiten, um sie musikalisch interessanter zu gestalten. Laut Brümmer ist es wahrscheinlich, dass menschliche Komponist:innen auch weiterhin von entscheidender Bedeutung sein werden. Sie würden am besten verstehen, wie Musik das Publikum bewegen und einen Beitrag zur Gesellschaft leisten kann.

Im Anschluss an die Podiumsdiskussion kam das Publikum in den Genuss der ersten Ergebnisse dieser Zusammenarbeit zwischen Maschine und Mensch, als Mitglieder des SKO mehrere aus den KI-Experimenten gewonnene Kompositionen vorspielten. Obwohl die Variationen Momente enthielten, die an Mozart erinnerten, konnte das Konzertpublikum die Herausforderungen aus diesem Dialog erkennen: Einerseits war das Bemühen der Maschine, den Stil des Komponisten nachzuahmen, spürbar. Andererseits war das Kammerorchester gefordert, eine Komposition zu bewältigen, die ohne Kenntnis der Fähigkeiten der Musizierenden oder der Erwartungen des Publikums entstanden war. Als sich später weitere Orchestermitglieder zu den Musiker:innen gesellten und Mozarts Streichquartett in C-Dur (KV 515) lebendig aufführten, waren die Unterschiede zwischen dem Original und der Nachahmung weiterhin deutlich hörbar.

Christopher Williams

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Sehen Sie sich das Video der Podiumsdiskussion in der Stadtbibliothek Stuttgart an.