Konferenz am HLRS beleuchtet Herausforderungen der Modellierung für die Politik

Foto des HLRS-Konferenzraums auf der SAS 24-Konferenz. Auf dem Bildschirm ist eine Folie mit dem Titel „Three Stories about Trust and Medical Models“ zu sehen.
Die Vortragenden auf der SAS 24-Konferenz untersuchten, wie Modelle für politische Entscheidungen in Bereichen wie öffentliche Gesundheit, Energiewende und Klimamodellierung entwickelt und eingesetzt werden.

Auf einer dreitägigen Tagung der Reihe „The Science and Art of Simulation“ versuchten Forschende, ein besseres multidisziplinäres Verständnis der Faktoren zu erlangen, die sich auf die Gestaltung wissenschaftsbasierter Modelle auswirken. Darüber hinaus wurde diskutiert, wie sich Modelle als Grundlage für die öffentliche Entscheidungsfindung nutzen lassen.

Modelle sind für die öffentliche Entscheidungsfindung unverzichtbar. Wenn politische Entscheidungsträger mit komplexen Fragen konfrontiert werden, wenden sie sich häufig an Wissenschaftler:innen, um Informationen zusammenzufassen, Analysen durchzuführen und Vorhersagen zu treffen. Das Zusammentreffen dieser beiden Welten kann jedoch alles andere als einfach sein. Divergierende Erwartungen, Motivationen, Werte und wissenschaftliche Kenntnisse zwischen Wissenschaftler:innen und Entscheidungsträgern können zu Missverständnissen führen, während soziale, kulturelle und politische Erwägungen die Interpretation und Verwendung von wissenschaftlichen Modellen beeinflussen können.

Im Idealfall führen Modelle zu klaren, leicht umsetzbaren Empfehlungen. Die Entwicklung von Modellen für komplexe Probleme ist jedoch oft kein einfacher Prozess. Faktoren wie die ethischen Werte, die einen Modellierungsansatz motivieren, praktische Erwägungen wie verfügbare Datensätze und die Auswahl der zu priorisierenden Parameter können die Ergebnisse eines Modells stark beeinflussen. Auf der politischen Seite können Faktoren wie gesellschaftspolitische Ziele, die Ethik der Verwendung von Modellen und die Durchführbarkeit modellbasierter Empfehlungen ebenfalls den Einsatz in der Praxis bestimmen. Solche Fragen sind mit dem Aufkommen leistungsfähigerer „Black-Box“-Anwendungen von Computersimulationen und künstlicher Intelligenz noch relevanter geworden. Die zunehmende Skepsis gegenüber Modellierungsansätzen außerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft ist auch seit der COVID-19-Pandemie zu einer noch dringlicheren Herausforderung geworden.

Von 25. bis 27. November 2024 veranstaltete die Abteilung Philosophy of Computational Sciences am Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS) eine internationale Konferenz mit dem Titel „Modeling for Policy“. Die Tagung brachte eine multidisziplinäre Gruppe von Philosoph:innen, Sozialwissenschaftler:innen, Wissenschaftshistoriker:innen und Anwender:innen von Modellierungstechnologien zusammen, um über die Praxis der Modellierung und deren Herausforderungen  im Kontext der öffentlichen Politikgestaltung nachzudenken. Diese Veranstaltung der Konferenzreihe „The Science and Art of Simulation“ (SAS) deckte Bereiche wie die öffentliche Gesundheit, Energiewende, Klimamodellierung, Beschäftigungsprogramme und Wertschöpfungskettenanalyse ab. In diesem Zusammenhang ging es darum, die Möglichkeiten und Grenzen der Simulation klarer zu definieren, das Vertrauen in Modelle bei politischen Entscheidungsträgern und in der Öffentlichkeit zu stärken sowie Empfehlungen zu einer besseren Interaktion zwischen Simulationswissenschaftlern und der Gesellschaft im Allgemeinen auszusprechen.

Wertemanagement bei der Modellierung und Verwendung von „Serviettenmathematik“

In einem Keynote-Talk untersuchte beispielsweise die Public-Health-Forscherin Stephanie Harvard (University of British Columbia), wie Werte in die Entwicklung von Computermodellen einfließen. Anhand einer Fallstudie über die potenzielle Wirksamkeit von HEPA-Filtern zur Bekämpfung der durch Waldbrände in Kanada verursachten Luftverschmutzung plädierte sie für einen selbstreflexiven Ansatz unter Modellierenden. Sie zeigte auf, dass es aus der Perspektive der Philosophie keine ideale Strategie für den Umgang mit Werten gibt. Sie schlug vor, dass Modellierer eine ethische Verantwortung haben, die Werte und Urteile, die ihrer Arbeit zugrunde liegen, zu identifizieren und zu artikulieren. Zu einem solchen Wertemanagement sollte gehören, dass man sich darüber im Klaren ist, welche Ergebnisse in einem politischen Kontext als wünschenswert oder unerwünscht angesehen werden, welche zentralen Entscheidungen bei der Entwicklung des Modells getroffen wurden (z.B. welche Daten einbezogen oder ausgeschlossen werden), welche Anwendungen des Modells angemessen sind und wer für die Ergebnisse verantwortlich ist. Transparenz in Bezug auf solche Fragen ist vor allem in einem politischen Kontext wichtig, in dem Nicht-Experten oft Entscheidungen auf der Grundlage spezialisierter Forschung treffen müssen, die sie möglicherweise nicht vollständig verstehen.

Wissenschaftler:innen können heutzutage zunehmend größere und detailliertere Modelle erstellen. Wie die Biostatistikerin und Spezialistin für Gesundheitspolitik Alyssa Bilinski (Brown University) in einem weiteren Keynote-Talk darlegte, ist jedoch die Erstellung komplexerer Modelle nicht immer der effektivste Ansatz bei der Beratung von Entscheidungsträgern. Stattdessen plädierte sie für die Nützlichkeit der „Serviettenmathematik“, einem analytischen Denkansatz, der mit dem einfachsten möglichen Modell beginnt. In einigen Fällen, so schlug sie vor, reiche sogar eine einfache Analyse aus, um praktische Antworten auf komplexe Fragen zu geben. Mithilfe des Ansatzes kann ein Modell, das leichter zu erklären ist als groß angelegte Simulationen, schneller erstellt werden. Darüber hinaus können Modellierende Serviettenmodelle verwenden, um die Kohärenz und Machbarkeit komplexerer Modelle zu überprüfen oder um Modelle zu interpretieren und zu vergleichen. Bilinski wies auch darauf hin, dass es wichtig ist, sich darüber im Klaren zu sein, was Modelle im Zusammenhang mit politischen Entscheidungen leisten können und was nicht: „Eine gute politische Modellierung beginnt ein Gespräch, anstatt es zu beenden.“

Zweifel an Modellen überwinden

Die Konferenz profitierte auch von einer Partnerschaft mit der Gesellschaft für Wissenschaftsforschung, einer internationalen Mitgliedervereinigung mit Sitz in Berlin, die Tagungen abhält und wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, die sich mit der Erforschung der Wissenschaft und ihrer Methoden befassen. In zwei von der Gesellschaft organisierten Sitzungen, darunter ein Hauptvortrag des Philosophen und Wissenschaftshistorikers Reinhard Kahle von der Universität Tübingen, befassten sich die Redner mit den Chancen und Risiken des zunehmenden Einsatzes von künstlicher Intelligenz und großen Sprachmodellen in der wissenschaftlichen Forschung und in der Bildung.

Während der dreitägigen Konferenz brachten die Vortragenden ihre Zuversicht zum Ausdruck, dass wissenschaftliche Modellierung sehr wertvoll für politische Entscheidungsträger ist. Gleichzeitig zeigen die jüngsten Ereignisse aber auch, warum Wissenschaftler:innen nicht einfach davon ausgehen können, dass die wissenschaftliche „Wahrheit“ allein automatisch die politische Entscheidungsfindung bestimmen wird. Die Modellierung für die Politik ist selbst in einem komplexen Universum eingebettet, das von Konstellationen sozialer, politischer, wirtschaftlicher und kultureller Faktoren beeinflusst wird. Wie die Konferenz gezeigt hat, ist ein umfassenderes Verständnis der Beziehungen zwischen diesen Bereichen erforderlich, um die öffentliche Unterstützung für gute Wissenschaft aufrechtzuerhalten und sicherzustellen, dass sie weiterhin die Politik beeinflusst. Interdisziplinäre Forschung, wie sie von der Abteilung für Philosophy of Computational Sciences des HLRS und ihrer SAS-Konferenzreihe gefördert wird, kann dazu beitragen, den breiteren Kontext der Wissenschaft zu verstehen und Strategien zur besseren Integration wissenschaftlichen Denkens und Modellierens in die öffentliche Entscheidungsfindung zu ermitteln.

— Christopher Williams

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