Mit dem Aufkommen von Lufttaxis und drohnengestützten Lieferdiensten wächst die Nachfrage nach einer neuen Generation von möglichst sicheren, leisen und energieeffizienten Hubschraubern. Eine Forschungsgruppe um Prof. Manuel Keßler am Institut für Aerodynamik und Gasdynamik (IAG) der Universität Stuttgart hat sich dieser Aufgabe angenommen. Keßlers Team arbeitet seit Langem an der Verbesserung von Hubschraubern. Die Supercomputer am Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS) setzen die Forschenden ein, um die komplexe Aerodynamik von Hubschrauberrotoren zu verstehen.
22. Jul 2024
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„Meine Gruppe beschäftigt sich seit zweieinhalb Jahrzehnten mit diesem Thema und in dieser Zeit haben wir eng mit der Industrie zusammengearbeitet“, so Keßler. „Sie kommen mit Fragen zu uns, bei denen sie Unterstützung brauchen. Wir liefern ihnen Wissen und Erkenntnisse sowie Simulationswerkzeuge zur Beantwortung dieser Fragen. Wir arbeiten seit Langem mit Airbus Helicopters zusammen und sie verwenden in ihrer Forschung häufig die gleichen Werkzeuge wie wir. Die Ergebnisse unserer Forschung fließen also direkt in industrielle Produkte ein.“
Kürzlich arbeiteten Keßler und sein Team mit Airbus an Modellierungs- und Simulationsprojekten. Das Ziel: die Geräuschemissionen des neuen RACER-Prototyps verringern und dessen Flugdynamik besser verstehen. RACER, das im April 2024 seinen ersten Testflug absolvierte, ist ungewöhnlich, insofern es sowohl Hubschrauberrotorblätter als auch Flugzeugpropeller an den Tragflächen hat. Dank dieser Merkmale lässt sich das neue Flugzeug in Notsituationen schneller einsetzen. Die Zusammenarbeit zur Verbesserung von RACER ist ein Beispiel dafür, wie öffentliche HPC-Zentren zur wirtschaftlichen Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit Europas beitragen.
Hubschrauber sind zwar keine neue Erfindung, aber um sie effizienter, sicherer oder leiser zu gestalten, müssen komplexe physikalische Phänomene auf einer grundlegenden Ebene verstanden werden. Forschende müssen die komplexe Geometrie des Hubschraubers in ein sehr feines Rechengitter von etwa 200 Millionen Gitterzellen zerlegen, damit sie Modelle für diese Phänomene entwickeln können. In einer Standardsimulation berücksichtigen sie zehn Umdrehungen des Hubschrauberrotors. Um die kleinräumigen Veränderungen zu erfassen, die sich auf die Flugdynamik oder die Akustik auswirken können, unterteilen sie jede Umdrehung in 720 kleine Zeitschritte. Das bedeutet, dass sie mehr als eine Billiarde Einzelberechnungen durchführen, verfolgen und analysieren müssen. „Diese Simulationen sind zu groß, als dass wir sie auf einem kleineren Cluster durchführen könnten; nur auf Supercomputern können wir diese Berechnungen effizient durchführen“, so Keßler.
Mithilfe von Supercomputing-Ressourcen des HLRS unterstützte das Team von Dr. Manuel Keßler Airbus Helicopters bei der Simulation ihres neuen RACER-Hubschraubers unter verschiedenen Flugbedingungen. Bild: Manuel Keßler, Universität Stuttgart
In Zusammenarbeit mit Airbus und als Teil des Projekts CA³TCH (gefördert innerhalb des Programms „Clean Sky 2“ der Europäischen Union) modellierte das Team um Keßler das neue RACER-Design, um die Lärmbelastung zu reduzieren und ein umfassenderes Verständnis der Flugdynamik zu erlangen. Dadurch wollten sie das Risiko vor dem ersten Flug des Helikopters verringern.
Das Team führte eine Reihe von Simulationen unter verschiedenen Bedingungen durch, z.B. im Schwebeflug bei Seitenwind und zur Bestimmung des sogenannten „Rollwinkels“, d.h. des maximalen seitlichen Neigungswinkels, den der Hubschrauber erreichen kann, bevor die Propeller den Boden berühren. Da RACER sowohl einen herkömmlichen Rotor als auch Flügel hat, gibt es nur sehr wenige experimentelle Daten, auf die Forschende sich stützen können. Das macht den Bedarf an Modellierung und Simulation noch größer.
„Aufgrund unserer gut etablierten Arbeitsabläufe und der etablierten Beziehungen, die wir zu unseren Industriepartnern aufgebaut haben, vertrauen sie auf unsere Simulationen, wenn wir darauf hinweisen, dass ein Modell ein Stabilitätsproblem haben könnte“, sagt Keßler. „Ich habe immer gesagt, dass es unsere Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass die Piloten nach dem ersten Testflug eines Flugzeugs mit einem Grinsen im Gesicht aussteigen und während des Flugs nicht ins Schwitzen geraten.“
Im Zuge der Umstellung des HLRS von Hawk — seinem derzeitigen Flaggschiff-Supercomputer — auf Hunter — einem System der nächsten Generation, das von 2025 an verfügbar sein wird — sehen Forschungsteams wie das von Keßler sowohl Chancen als auch Herausforderungen. Hunter wird das erste System am HLRS sein, das eine große Anzahl von GPU-Beschleunigern enthält. Während sich mithilfe von GPUs die Leistung beschleunigen und die Energieeffizienz in den schnellsten Computern der Welt verbessern lassen, stellen sie für einige wissenschaftliche Nutzer:innen von HPC eine neue Technologie dar. Forschende, die bisher noch keine GPU-basierten Supercomputer einsetzen, müssen ihre Code-Pakete — manchmal stark — modifizieren, um die Vorteile der Systemarchitektur voll ausschöpfen zu können. Sobald ein Forschungsteam die Technologie von Hunter gut beherrscht, kann es mehr hochauflösende Simulationen durchführen, was die Produktionszeiten weiter verkürzt und die Sicherheit im Prozess erhöht.
Keßler weist darauf hin, dass das User Support Team des HLRS proaktiv dazu beigetragen hat, dass sein Team Hunter direkt nach seiner Einweihung nutzen können wird. „Das Zentrum hat uns bei dieser Umstellung bereits sehr unterstützt“, betont Keßler. „Wir wurden kürzlich zu einem Treffen eingeladen, bei dem wir die verschiedenen Optionen mit Mitarbeitenden aus allen Bereichen, einschließlich des Hardwareherstellers, diskutierten. Das HLRS kam aktiv auf uns zu und sagte: ‚Wir werden diese Umstellung künftig vornehmen, wie können wir Ihnen also jetzt schon bei der Vorbereitung helfen?‘“
Keßler hält diese frühe Zusammenarbeit für wesentlich. Denn selbst wenn die Mitarbeiter:innen des HLRS weder über detaillierte Kenntnisse des Codes seines Teams noch sämtliche Codes für alle Forschungsprojekte des Zentrums umschreiben können, wird die Unterstützung dazu beitragen, dass sein Team weiterhin Simulationen für Industriepartner bereitstellen kann. Die Ergebnisse liefern Erkenntnisse für Hubschrauberdesigns der nächsten Generation. Die Kollaboration ermöglicht eine nahtlose sichere, zuverlässige und effiziente Produktion europäischer Hubschrauber.
— Eric Gedenk
Hawk wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg über das Gauss Centre for Supercomputing (GCS) finanziert.
Dieser Artikel wurde zuerst auf der Website des Gauss Centre for Supercomputing veröffentlicht.