Mit Supercomputern eine sauberere Quelle für weißes Licht entdecken

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Bei Bestrahlung mit Infrarotlicht geben Adamantan-basierte Molekülcluster mit der allgemeinen Zusammensetzung [(RT)4E5] (mit R = organische Gruppe; T
= C, Si, Ge, Sn; E = O, S, Se, Te , NH, CH2, ON) stark gerichtetes weißes
Licht ab. Bild: Elisa Monte, Justus-Liebig-Universität Gießen

Forscher:innen der Justus Liebig Universität Gießen nutzten die Supercomputing-Ressourcen des HLRS bei der Entdeckung von „Cluster-Glas“, einer neuen Werkstoffklasse.

Als die Frühmenschen entdeckten, wie man sich das Feuer zunutze machen kann, waren sie in der Lage, sich gegen die nächtliche Dunkelheit zu wehren: Mit der Erfindung und Verbreitung der Elektrizität wurde es einfacher, Wärme von Licht zu trennen, nachts zu arbeiten und alles – von Eisenbahnwaggons bis hin zu Autobahnen – zu beleuchten. In den vergangenen Jahren wurden alte Formen der elektrischen Lichterzeugung, wie Halogenglühbirnen, durch energieeffizientere Alternativen ersetzt. Diese Umstellung hat die Kosten für die Beleuchtung unserer Wohnungen, Arbeitsplätze und unseres Lebens im Allgemeinen weiter verringert.

Die Erzeugung von weißem Licht mittels moderner Technologien, wie z. B. Leuchtdioden (LEDs), ist nicht einfach und hängt häufig von sogenannten „Seltenerdmetallen“ ab, die zunehmend rar werden. Wegen der Begrenztheit suchen Wissenschaftler:innen nach Möglichkeiten, weißes Licht nachhaltiger zu erzeugen. Forschende der Universität Gießen, der Universität Marburg und des Karlsruher Instituts für Technologie haben vor Kurzem eine neue Werkstoffklasse, das sogenannte „Cluster-Glas“, entdeckt. Dieses Material könnte LEDs in vielen Anwendungen ersetzen.

„Wir befinden uns in der Geburtsstunde einer Technologie zur Erzeugung von weißem Licht, die die derzeitigen Lichtquellen ersetzen kann. Sie erfüllt alle Anforderungen unserer Gesellschaft: Verfügbarkeit von Ressourcen, Nachhaltigkeit, Biokompatibilität", sagt Prof. Dr. Simone Sanna, Professor an der Justus Liebig Universität Gießen und leitender Wissenschaftler des Projekts. „Meine Kollegen aus den experimentellen Wissenschaften, die diese unerwartete Erzeugung von weißem Licht beobachtet haben, baten um theoretische Unterstützung. Cluster-Glas hat eine unglaubliche optische Reaktion, aber wir verstehen bisher noch nicht, warum. Computergestützte Methoden können uns dabei helfen, das herauszufinden.“

Sanna und seine Mitarbeitenden haben den Supercomputer Hawk am Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS) genutzt, um Cluster-Glas besser zu verstehen und herauszufinden, wie es der nächsten Generation als Lichtquelle dienen könnte. Sie veröffentlichten ihre Ergebnisse in Advanced Materials.

Der richtige Blick für die Entstehung von Cluster-Glas

Fachfremde denken bei dem Wort „Glas“ womöglich nur an das klare, feste Material ihrer Fensterscheiben oder auf ihrem Esstisch. Jedoch ist Glas eigentlich eine Werkstoffklasse, die als „amorpher Festkörper“ bezeichnet wird. Diese hat kein geordnetes kristallines Gitter, was auf einen schnellen Abkühlungsprozess zurückzuführen ist. Auf atomarer Ebene befinden sich die Teilchen, aus denen sie bestehen, in einem schwebenden, ungeordneten Zustand. Im Gegensatz zu kristallinen Materialien, bei denen die Teilchen über eine lange molekulare Distanz hinweg geordnet und symmetrisch sind, eignen sich „Gläser“ aufgrund ihrer Unordnung auf molekularer Ebene hervorragend zum Biegen, Brechen oder Reflektieren von Licht.

Eine Gruppe experimenteller Forschender der Universität Marburg hat kürzlich eine besondere Art von Glas synthetisiert, das sogenannte „Cluster-Glas“. Im Gegensatz zu herkömmlichem Glas, das sich fast wie eine gefrorene Flüssigkeit verhält, ist Cluster-Glas, wie der Name andeutet, eine Ansammlung von einzelnen Molekülclustern, die sich bei Raumtemperatur wie ein Pulver verhalten. Bei Bestrahlung mit Infrarot erzeugen sie helles, klares, weißes Licht. Während Pulver nicht ohne Weiteres zur Herstellung kleiner, empfindlicher elektronischer Bauteile verwendet werden können, haben die Forschenden einen Weg gefunden, sie in Glasform zu gießen: „Wenn wir das Pulver schmelzen, erhalten wir ein Material, das alle Eigenschaften eines Glases hat und in jede für eine bestimmte Anwendung benötigte Form gebracht werden kann“, so Sanna.

Während die experimentellen Forschenden in der Lage waren, das Material zu synthetisieren und seine Leuchteigenschaften zu beobachten, wandte sich die Gruppe an Sanna, um mithilfe von Supercomputern das Verhalten von Cluster-Glas besser zu verstehen. Sanna wies darauf hin, dass die Erzeugung von weißem Licht nicht die Eigenschaft eines einzelnen Moleküls in einem System, sondern das kollektive Verhalten einer Gruppe von Molekülen ist. Die Interaktionen dieser Moleküle untereinander und mit ihrer Umgebung in einer Simulation zu erfassen, bedeutet daher, dass die Forscher:innen gleichermaßen den Prozess der Lichterzeugung auf allgemeiner Ebene erfassen und auch beobachten müssen, wie kleinskalige atomare Interaktionen das System beeinflussen. Jeder dieser Faktoren stellt eine rechnerische Herausforderung dar; die Modellierung dieser Prozesse auf mehreren Skalen ist jedoch nur mit führenden Supercomputern wie Hawk möglich.

Strukturelle Modifikationen der Molekülcluster, die zur Bildung amorpher Verbindungen führen, können durch Elektronen- oder Laserbestrahlung induziert werden. Bild: Elisa Monte, Justus-Liebig-Universität Gießen

 

Die Zusammenarbeit zwischen Experimentator und Theoretiker wird in der Materialwissenschaft zunehmend von Bedeutung, da die Synthese vieler Iterationen eines ähnlichen Materials langwierig und teuer sein kann. Mithilfe von Höchstleistungsrechnern, so Sanna, lassen sich Materialien mit neuen optischen Eigenschaften schneller identifizieren und testen. „Die Beziehung zwischen Theorie und Experiment ist eine kontinuierliche Schleife. Wir können die optischen Eigenschaften eines Materials vorhersagen, das von Chemikern synthetisiert wurde. Diese Berechnungen nutzen wir, um die Eigenschaften des Materials zu überprüfen und besser zu verstehen“, sagt Sanna. „Wir können auch neue Materialien am Computer entwerfen und den Chemikern so Informationen liefern, mit denen sie sich auf die Synthese von Verbindungen konzentrieren können, die höchstwahrscheinlich nützlich sind. Auf diese Weise inspirieren unsere Modelle die Synthese neuer Verbindungen mit maßgeschneiderten optischen Eigenschaften.“

Im Fall des Cluster-Glases führte dieser Ansatz zu einem Experiment, das zum einen durch Simulationen verifiziert wurde. Modellierung trug zum anderen dazu bei, den Forschenden den Zusammenhang zwischen den beobachteten optischen Eigenschaften und der Molekularstruktur ihres Cluster-Glas-Materials aufzuzeigen. Dadurch kommt dieses nun als Ersatz von Lichtquellen, die stark auf Seltenerdmetalle angewiesen sind, in Frage.

Supercomputing beschleunigt die Forschung und Entwicklung

Supercomputing (High-Performance Computing, HPC) spielt eine wichtige Rolle für die Zeitspanne zwischen neuen Entdeckungen und Produkten oder Technologien. Sanna zufolge verkürzt HPC die Zeit enorm, die für ein besseres Verständnis von Glas-Clustern erforderlich ist. „Wir verbringen viel Zeit mit Simulationen, aber das ist dennoch deutlich weniger, als die Charakterisierung dieser Materialien in der Realität benötigen würde“, sagt er. „Die Cluster, die wir modellieren, haben einen rautenförmigen Kern, an den vier Liganden (Molekülketten) gebunden sind. Diese Liganden können aus diversen Materialien bestehen, sodass es sehr zeitaufwändig ist, dies in einem Experiment zu untersuchen.“

Sanna wies darauf hin, dass das Team noch immer durch die kurze Dauer der einzelnen Simulationsläufe eingeschränkt ist. Einige Forschungsprojekte auf Supercomputern können ein komplexes System in kleinere Teile aufteilen und jeden davon parallel berechnen. Sannas Team achtet besonders auf die Wechselwirkungen zwischen Teilchen über große Entfernungen hinweg, sodass es nur begrenzt Simulationen auf mehrere Computerknoten aufteilen kann. Er wies ebenfalls darauf hin, dass das Team bei regelmäßigem Zugang zu längeren Laufzeiten – mehr als einen Tag am Stück auf einem Supercomputer – schneller arbeiten könnte. 

Sannas Team hofft, in den laufenden Studien über Cluster-Glas den Ursprung seiner lichterzeugenden Eigenschaften vollständig zu ergründen. Dies könnte dazu beitragen, weitere neue Materialien zu identifizieren und zu bestimmen, wie man Cluster-Glas am besten zur Lichterzeugung einsetzen kann.

Sanna erklärte, dass die HPC-Ressourcen am HLRS für die wissenschaftliche Grundlagenforschung seines Teams unerlässlich sind. Er hofft, dass diese Arbeiten zu neuen Produkten mit gesellschaftlichem Nutzen führen werden. „Die wichtigste rechnerische Leistung in diesem Zeitschriftenartikel war nur möglich, weil wir Zugang zu der Maschine in Stuttgart hatten“, sagt er.

-Eric Gedenk

Hawk wurde vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung über das Gauss Centre for Supercomputing (GCS) finanziert.