In der Europäischen Union ist in den kommenden Jahren mit einem drastischen Anstieg der High-Performance Computing (HPC) Leistung zu rechnen: In Finnland, Italien und Spanien werden Pre-Exascale-Rechner in Betrieb genommen und das erste europäische Exascale-System ist für das Jülich Supercomputing Centre in Deutschland geplant. Obwohl diese Aufrüstung der Hardware vielfältige Möglichkeiten bieten wird, stellt diese auch eine schwierige Herausforderung dar: Wie wird sichergestellt, dass das Potenzial dieser Investitionen auf eine Weise genutzt wird, die den unterschiedlichen Bedürfnissen aller EU-Mitgliedstaaten gerecht wird?
18. Okt 2022
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Dr. Bastian Koller, Geschäftsführer des Höchstleistungsrechenzentrums Stuttgart (HLRS), erklärt: „Es wird derzeit sehr viel Geld in Hardware investiert. Das ist eine wichtige Grundlage für Simulationen, Datenanalysen und künstliche Intelligenz. Diese Ressourcen sollen nicht nur wenigen Menschen zugutekommen – wir müssen sicherstellen, dass wir das Potenzial maximal ausschöpfen.“
Mit diesen Worten begrüßte Dr. Bastian Koller die Teilnehmer:innen der Konferenz von EuroCC und CASTIEL. Diese miteinander verbundenen Projekte werden vom EuroHPC Joint Undertaking (JU) mit dem Ziel finanziert, die HPC-Kompetenz und -Nutzung in Europa zu fördern und zu erweitern. Koller koordiniert die beiden vom HLRS geleiteten Projekte.
Die Konferenz, die von der Universität Donja Gorica aus Montenegro in Bečići unter dem Motto „Uniting Competencies for a Stronger Europe“ mitorganisiert wurde, brachte Vertreter:innen von 32 der 33 Nationalen Kompetenzzentren aus EuroCC zusammen. Während des ersten persönlichen Projekttreffens konnten die Mitglieder sich gegenseitig über die bisherigen Erfolge, Erkenntnisse und etablierte Prozesse auszutauschen, neue Kooperationen eingehen und die zweite Phase der Projekte planen, die im nächsten Jahr beginnen wird.
EuroCC und CASTIEL sind komplementäre Projekte, die darauf abzielen, die Auswirkungen des Höchstleistungsrechnens, der Höchstleistungsdatenanalyse (HPDA) und der künstlichen Intelligenz (KI) in Europa zu maximieren. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen potenzielle Nutzergemeinschaften identifiziert und dabei unterstützt werden, das große Potenzial von HPC und verwandten Technologien zu erkennen. Darüber hinaus müssen die erforderlichen Schulungen für die effektive Nutzung dieser Technologien angeboten werden. Aus mehreren Gründen verfügen die einzelnen Länder in Europa über unterschiedliche Erfahrungen mit den für dieses komplexe Vorhaben erforderlichen Kompetenzen. EuroCC und CASTIEL sollen eine internationale Gemeinschaft aufbauen, die mittels Zusammenarbeit und Informationsaustausch diese Situation verbessert.
In einer Podiumsdiskussion tauschten sich die Teilnehmer über die Relevanz von EuroCC für die europäische HPC-Strategie aus. L-R: Natalie Lewandowski (HLRS), Tomas Karasek (IT4I), Daniel Opalka (EuroHPC Joint Undertaking), Espen Flage-Larsen (Universität Oslo), Milena Milonjic (Universität Donja Gorica), Guy Lonsdale (scapos AG). Foto: Slaven Vilus
EuroCC wurde 2020 ins Leben gerufen und baute zunächst nationale Kompetenzzentren (NCCs) für HPC, HPDA und KI in 33 europäischen Ländern auf. Jedes NCC führte anschließend ein nationales HPC-Kompetenz-Audit durch, das das vorhandene Fachwissen und die vorhandenen Ressourcen sowie die Wissenslücken dokumentiert. Die NCCs sind auch zentrale Anlaufstellen für die HPC-Communities in ihren Heimatländern.
Parallel dazu leitet CASTIEL Aktivitäten zur Förderung der Interaktion und des Wissensaustauschs über die Landesgrenzen hinweg. Auf der Konferenz berichtete Koller, dass die NCCs trotz der COVID-19-Pandemie bisher 60 Workshops und 95 Schulungskurse mit Schwerpunkt auf Schlüsselkompetenzen und -wissen für HPC-Systemnutzer:innen durchgeführt haben.
Auch die EuroCC-Konferenz in Montenegro verspricht positive Nachwirkungen, die die internationale Zusammenarbeit stärken. In einer Umfrage unter den Teilnehmenden nach der Konferenz gaben 79 % an, dass sie nun neue Kooperationen mit anderen NCCs planen, und 67 % begannen während der Konferenz bereits mit der Planung von Partnerschaftsaktivitäten, Mentoring oder Workshops.
CASTIEL hat auch eine europäische HPC-Kompetenzkarte erstellt, die Informationen über den Zugang zu mehr als 150 Kompetenzen in den EuroCC-Teilnehmerstaaten bietet. Die Informationen sind auf der EuroCC-ACCESS-Website frei zugänglich und dienen als Ressource für jeden in Europa, der Fragen zu HPC und verwandten Technologien hat.
EuroCC und CASTIEL sind zwei von mehreren Projekten, die von der EuroHPC Joint Undertaking (JU) unterstützt werden. In einer Grundsatzrede erörterte der Executive Director der JU, Anders Dam Jensen, die Rolle von EuroCC und CASTIEL innerhalb der europäischen HPC-Strategie. „Die NCCs sind eines unserer wichtigsten Projekte“, so Jensen, der darauf hinwies, dass ein besseres Verständnis des Höchstleistungsrechnens die technologische Autonomie Europas erhöhen und zu neuen Anwendungen mit EU-weiten Vorteilen führen wird.
In einer Diskussionsrunde, die sich mit der Vision der nationalen Kompetenzzentren befasste, kommentierte Daniel Opalka, Leiter des Forschungs- und Innovationssektors der EuroHPC JU, auch die einzigartige Rolle von EuroCC innerhalb der Gesamtstrategie der JU. „Das Netzwerk der nationalen Kompetenzzentren ist ... nicht nur eines der größten Projekte, sondern auch eines der umfassendsten von der JU derzeit geförderten europäischen Projekte“, sagte er. „Die nationalen Kompetenzzentren haben eine unvorstellbare Reichweite. Mit ihnen können wir die Einführung von HPC unterstützen, insbesondere in KMU, die bekanntermaßen schwer zu erreichen sind.“
Anders Dam Jensen, Executive Director der EuroHPC Joint Undertaking, gab einen Überblick über die europäische HPC-Strategie. Foto: Slaven Vilus
Opalka wies darauf hin, dass die NCCs auch gut aufgestellt sind, um die künftige europäische HPC-Strategie zu lenken, und fügte hinzu: „Für uns als Fördergeber ist es sehr wichtig, durch die Kompetenzübersicht und Beobachtung des Ökosystems zu verstehen, wie wir die wichtigsten Interessengruppen und Gemeinschaften besser unterstützen können.“
In dem Maße, in dem sich die NCCs etablieren, werden sie auch zu wichtigen Knotenpunkten für die Interaktion mit anderen JU-Projekten. Dazu zählen u.a. Exzellenzzentren, die Softwareanwendungen für große Computersysteme entwickeln, und europäische digitale Innovationszentren, die Unternehmen bei der Entwicklung von Technologien unterstützen.
Während der gesamten Konferenz kamen die Diskussionen immer wieder auf die Frage zurück, was die NCCs tun können, um HPC in weitere Branchen zu bringen. Wie mehrere Redner erläuterten, ist es dazu erforderlich, dass die NCCs Öffentlichkeitsarbeit betreiben: Sie sollten lernen, effektiv mit der Industrie zu kommunizieren, relevante Erfolgsgeschichten präsentieren, die den potenziellen Wert von HPC aufzeigen, und (potenziellen) Nutzer:innen entsprechende Schulungen sowie Unterstützung bieten.
Um repräsentative Erfolgsgeschichten zu ermitteln, haben die nationalen Kompetenzzentren zwei offene Ausschreibungen unterstützt, die von einem dritten Projekt namens FF4EuroHPC organisiert wurden. Als eine Art Fortsetzung der erfolgreichen Fortissimo-Projekte stellt dieses vom HLRS geleitete Projekt Startkapital für KMU bereit, um Experimente durchzuführen, bei denen HPC, Datenanalyse oder KI getestet werden.
Wie Claudio Arlandini vom italienischen NCC mit Sitz bei CINECA erklärte, können die NCCs kleinen Unternehmen dabei helfen, effektivere Projektvorhaben zu konzipieren und zu gestalten. Er ist auch Mitglied des FF4EuroHPC-Konsortiums und berichtete, dass von den 27 FF4EuroHPC-Anträgen, bei denen CINECA eine unterstützende Rolle spielte, fast die Hälfte gefördert wurde. „Selbst, wenn ein Antrag nicht gefördert wird, ist er aus der Sicht des Unternehmens immer ein Erfolg“, fügte Arlandini hinzu. „Es hilft ihnen zu verstehen, was HPC, HPDA und KI leisten können, sodass sie anfangen können, über neue Geschäftsfelder nachzudenken. In vielen Fällen werden sie zu unseren Kunden oder kontaktieren uns wegen neuer Finanzierungsmöglichkeiten.“
Die Redner auf der Konferenz stellten einige Erfolgsgeschichten vor, in denen die NCCs kleinen Unternehmen dabei halfen, neue Anwendungen des Höchstleistungsrechnens zu finden. Dazu gehörten u.a. Tools, mit denen sich der Gesundheitszustand von Nutztieren automatisiert beobachten lässt, sich Abfälle im Meer auffinden und reinigen sowie Lastprognosen für den internationalen Energiemarkt treffen lassen.
Für Guy Lonsdale von der scapos AG, einem Urgestein europäischer Projekte, werden die von den nationalen Kompetenzzentren gesammelten Erfolgsgeschichten Unternehmen dazu verhelfen, HPC auszuprobieren. „Die NCCs handeln auf regionaler Ebene, aber es ist wichtig, dass sie mit den anderen Teilen des Ökosystems verbunden sind“, erklärte er. Unabhängig davon, wo sie entstehen, könnten relevante Erfolgsgeschichten, die im gesamten EuroCC-Netzwerk ausgetauscht werden, den NCCs Modellbeispiele für die Argumentation liefern: ‚Ihr könnt das auch!‘“
Die erste Förderphase für EuroCC und CASTIEL läuft Ende 2022 aus. Jedoch wurden die Mittel für die Verlängerung der Projekte bereits bewilligt, sodass sie in den kommenden Jahren weiter an Reichweite gewinnen werden. Wie Arlandini am Ende seines Vortrags betonte, ist ein langfristiger Ansatz erforderlich, um die maximale Wirkung zu erzielen. „Als NCC laufen wir keinen 100-Meter-Lauf, sondern einen Marathon“, sagte er. „Wir müssen uns darauf konzentrieren, den HPC-Anwender der Zukunft aufzubauen.“
— Christopher Williams
Das EuroCC Access Portal enthält Informationen über die 33 nationalen Kompetenzzentren und eine europäische Karte der Kompetenzen.
Sehen Sie sich das Video der EuroCC/CASTIEL-Konferenz an: Agenda, Tag 1, Tag 2 (auf Englisch).