Die Normen zur Reduzierung der schädlichen Stickoxid-Emissionen (NOx) von Dieselmotoren sind in den vergangenen Jahren zunehmend strenger geworden und machen komplexe Abgasreinigungssysteme notwendig. Purem by Eberspächer stellt sich dieser Herausforderung. Das Unternehmen ist eine Tochtergesellschaft der Esslinger Eberspächer Gruppe, die große Pkw- und Lkw-Hersteller mit innovativen Abgassystemen beliefert.
Der gängigste Ansatz zur Begrenzung der NOx-Freisetzung in die Luft ist die Einspritzung einer harnstoffbasierten Lösung in den Dieselabgasstrom, bevor dieser das Fahrzeug verlässt. Die in Europa unter dem Markennamen AdBlue bekannte Harnstoffwasserlösung setzt eine Reihe chemischer Reaktionen in Gang, die NOx – eine Ursache für Atemwegserkrankungen und Luftverschmutzung – in harmloses Stickstoffgas, Wasser und Kohlendioxid umwandeln. Um die heutigen anspruchsvollen Euro-VI-Emissionsnormen zu erfüllen, muss das Abgassystem eines Fahrzeugs extrem effektiv sein, um so viel NOx wie möglich zu konvertieren.
20. Jul 2023
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Bei der Entwicklung eines Emissionsminderungssystems für ein neues Fahrzeug besteht eine der wichtigsten Aufgaben der Purem by Eberspächer Ingenieur:innen darin, die Konstruktion der Einheit zu optimieren, in der sich die Harnstoffwasserlösung mit dem Abgas vermischt. Da ein Trial-and-Error-Designprozess im Labor unpraktisch wäre, ist diese Arbeit nur mithilfe von rechenintensiven Simulationen der numerischen Strömungsmechanik (CFD) möglich.
Purem by Eberspächer verfügt über ein eigenes Rechencluster. Der Bedarf an Rechenleistung für CFD-Methoden ist allerdings enorm hoch. Die Ingenieur:innen des Unternehmens nutzen deshalb seit vielen Jahren den Supercomputer des Höchstleistungsrechenzentrums Stuttgart (HLRS) für diese Simulationen. Laut Dr. Laurence Marie-Hieber, Leiterin der Gruppe Fluiddynamik und Emissionen bei Purem by Eberspächer, ist das System Hawk des HLRS zu einem unverzichtbaren Werkzeug in den Arbeitsabläufen des Produktdesigns des Unternehmens geworden. „Man kann sich nicht mehr vorstellen, ohne das HLRS zu arbeiten“, sagt sie.
Mit einem akademischen Hintergrund in Luft und Raumfahrt leitet Marie-Hieber ein Team, das CFD-Methoden und -Werkzeuge entwickelt, die Projektingenieur:innen bei Purem by Eberspächer beim Design von Abgasanlagen für neue Fahrzeuge einsetzen. Da das Unternehmen Produktanfragen von zahlreichen Herstellern und für unterschiedlichste Fahrzeuge erhält, müssen die Abgasanlagen immer nach den Vorgaben der Hersteller ausgelegt werden. Das gilt zum Beispiel im Hinblick auf den verwendeten Motor und den zur Verfügung stehenden Bauraum für die Abgasanlage. Das Mischmodul ist also kein Standardbauteil, sondern erfordert maßgeschneiderte Lösungen, die NOx gleichmäßig und effizient aus dem Abgas entfernen.
Bei der Vorbereitung der Entwürfe lassen die Purem by Eberspächer Ingenieur:innen eine Software auf dem Höchstleistungsrechner des HLRS laufen, mit der sie genau vorhersagen können, wie das Abgas und die Tropfen der Harnstoffwasserlösung im engen Raum des Mischmoduls interagieren werden. Die Reaktionen finden in einer turbulenten Strömung auf engstem Raum unter hohem Druck statt und die Simulationen solcher Zweiphasensimulationen sind sehr rechenintensiv. Wenn es erforderlich ist, ein sogenanntes instationäres Verhalten zu simulieren – also die virtuelle Abbildung wie sich das Verhalten im System im Laufe der Zeit ändert – wird diese Arbeit für herkömmliche Computercluster viel zu zeitaufwändig. Ein genaues Modell ist wichtig, um sicher zu sein, dass die Form der Mischeinheit eine konsistente und effektive Reaktivität ermöglicht.
Mit Hilfe von CFD-Simulationen prognostizieren Ingenieur:innen bei Purem by Eberspächer die Auftrefffläche und den Wärmeübergangskoeffizienten an den vorderen und hinteren Platten der kompakten Harnstoffaufbereitungsanlage bei niedriger (links) und voller Belastung. Bild: Purem GmbH
Neben der Optimierung der chemischen Reaktionen zwischen Flüssigkeit und Gas müssen die Purem by Eberspächer Ingenieur:innen auch sicherstellen, dass sich Nebenprodukte der Harnstoffzersetzung nicht als Rückstände an den Wänden der Mischeinheit ablagern. „Das wollen wir absolut vermeiden, denn die Ansammlung von Feststoffen beweist, dass die Harnstoffwasserlösung nicht richtig verdampft ist und sich nicht richtig mit den Abgasen mischt. Dadurch gibt es eine geringere Konvertierung der Stickoxide“, erklärt Marie-Hieber.
Purem by Eberspächer nutzt HPC (Höchstleistungsrechnen, high-performance Computing) in einem iterativen Prozess, der sowohl Simulationen als auch Laborexperimente umfasst. Der Vorgang beginnt mit einer Simulation, die zur Herstellung eines Prototyps führt, der dann im Labor getestet wird. Während der Experimente führen die Techniker:innen Messungen durch, um die Qualität der Mischung zu beurteilen und festzustellen, wo sich Ablagerungen bilden. Die Ergebnisse fließen dann in die Simulation zurück, so dass die Berechnungsingenieur:innen ihre Modelle anpassen und damit Optimierungsvorschläge machen können.
Bei der Optimierung lassen die Ingenieur:innen nicht nur eine rechenintensive Simulation, sondern bis zu zehn verschiedene Konstruktionsvarianten auf Hawk laufen, um das bestmögliche Design zu finden. Die vielversprechendsten Designs werden unter verschiedenen Betriebsbedingungen getestet, da zahlreiche Faktoren die Umwandlungsrate der NOx-beseitigenden chemischen Reaktionen beeinflussen. Hierzu zählen beispielsweise die Temperatur, der vorherrschende Druck, die Menge an Harnstoffwasserlösungen oder die Bedingungen der Abgasgeschwindigkeit. „Wir bekommen die Ergebnisse sehr schnell und das ist natürlich ein Riesenvorteil“, bemerkt Marie-Hieber. „Dann können wir direkt bestimmte Geometrien und Varianten ausschließen.“
Im Laufe ihrer Karriere hat Marie-Hieber erlebt, wie das Wachstum des Höchstleistungsrechnens der Automobiltechnik neue Möglichkeiten eröffnet hat. „Die Rechenleistung wird immer größer und wir merken, welche Simulationen wir jetzt rechnen können“, sagt sie. Ein Kondensator zum Beispiel besteht aus vielen parallelen Kanälen, und in der Vergangenheit hätte man immer nur einzelne Kanäle simulieren können. Das bedeutete, dass man Annahmen treffen und die Ergebnisse hochskalieren musste, um eine ungefähre Vorstellung davon zu bekommen, wie das gesamte Gerät funktionieren könnte. Heute ist es möglich, den gesamten Kondensator auf einmal zu simulieren, was ein viel realistischeres Modell des gesamten Systems ergibt. „Das ist wichtig, da wir sonst immer etwas vereinfachen bzw. annehmen. Dadurch entfernen wir uns von der Realität“, betont sie.
Zwei Simulationen zeigen die Strömungsverhalten innerhalb einer kompakten Einheit zur Harnstoffaufbereitung sowie die Ausbildung des Dralls. Bild: Purem GmbH
Purem by Eberspächer befindet sich – wie alle Unternehmen im Mobilitätssektor – im Transformationsprozess mit Lösungen für klimafreundlichere, nachhaltige Alternativen, wie beispielsweise Wasserstoff- und Brennstoffzellenanwendungen. Auch hier hilft die Simulation auf dem Supercomputer des HLRS bei den Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten.
Eberspächer ist nicht nur in Deutschland aktiv, sondern ein globaler Zulieferer von Teilen und Lösungen für Automobilhersteller weltweit. Mit dem Supercomputer am HLRS, so Marie-Hieber, könnten auch die Ingenieur:innen in den internationalen Niederlassungen unterstützt werden. „In Zukunft möchten wir, dass auch unsere Kolleg:innen aus unseren internationalen Standorten beim HLRS rechnen, weil unsere Erfahrung hier in Deutschland so gut ist“, sagt sie. Obwohl sie einräumt, dass viele Details eines solchen globalen Einsatzes noch geklärt werden müssen, ist klar, dass die Nutzung der Computerressourcen des HLRS durch Purem by Eberspächer weiterhin wichtig sein wird, um das Unternehmen zu befähigen, hochwertige Präzisionsprodukte für die Mobilität der Zukunft zu liefern.
— Christopher Williams