Seit James Francis Mitte des 19. Jahrhunderts seine Francis-Turbine patentieren ließ, ist Wasserkraft eine der zuverlässigsten, sichersten und saubersten Stromquellen der Welt. Im Zuge des technischen Fortschritts ermöglichten neue Turbinenmodelle Ingenieur:innen die Anpassung von Staudämmen an ein breiteres Spektrum von Landschaften, Klimazonen und Wasserläufen.
20. Mai 2022
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Die 1913 von Viktor Kaplan entwickelte Kaplanturbine war komplexer als die Francis-Turbine, bot Ingenieur:innen jedoch mehr Spielraum, da sie in der Lage war, mit unterschiedlichsten Durchflussmengen effizient Strom zu erzeugen. Dies ist insbesondere im Hinblick auf Flüsse von Bedeutung, in denen der Wasserdruck schwankt oder kein ausreichend starkes Gefälle an Dämmen erreicht werden kann, wie z.B. an Flüssen mit geringen Höhenunterschieden.
Die Francis- und Kaplanturbinen sind zusammen mit dem Pelton-Rad die überwiegende Mehrheit der heutzutage in Wasserkraftwerken eingesetzten Turbinen. Obwohl diese Anlagen äußerst widerstandsfähig sein können -- gut gewartete Kaplanturbinen können in manchen Fällen mehr als 50 Jahre lang genutzt werden -- führen die Anforderungen, die die sich wandelnde Energielandschaft der Menschheit an sie stellt, zu häufigeren Ausfällen und dem vermehrten Austausch von Turbinen. Insbesondere da manche Länder andere erneuerbare Energiequellen wie Wind- oder Solarenergie ausbauen, müssen diese Turbinen häufiger gestartet, gestoppt und die Durchflussmenge geändert werden, was zu deren Abnutzung führt.
In dem Bemühen, die Auswirkungen der Strömungsbedingungen auf die Zuverlässigkeit von Turbinen besser zu verstehen, haben Wissenschaftler:innen am Institut für Strömungsmechanik und Hydraulische Maschinen (IHS) der Universität Stuttgart die Supercomputing-Ressourcen des HLRS genutzt, um diese Maschinen auf einer grundlegenden Ebene zu untersuchen.
„Kaplanturbinen haben einen großen Einsatzbereich, was auch bedeutet, dass man verschiedene Arten von Flüssigkeitsverhältnissen und das, was in der Turbine passieren kann, berücksichtigen muss“, sagt Simon Joßberger, Doktorand an der Universität Stuttgart und Wissenschaftler in diesem Projekt. „ Die Simulationsergebnisse sind beim Testen unter Ausgangsbedingungen normalerweise in Ordnung. Es ist aber schwierig zu wissen, ob die Simulationen für eine bestimmte Turbine richtig oder falsch sind, wenn man andere Betriebspunkte simuliert, zum Beispiel bei höheren und niedrigeren Durchflussraten und/oder größeren und kleineren Fallhöhen. Wir brauchen zuverlässige Ergebnisse für Kaplanturbinen über das gesamte Betriebskennfeld und wir benötigen diese Ergebnisse während des Entwurfsprozesses, damit wir die Turbine an die spezifischen Bedingungen am Einsatzort anpassen können.“
Um die Bedingungen in einer Turbine mithilfe von Simulationen genau zu modellieren, müssen Forschende die chaotischen, turbulenten Bewegungen der durch die Turbine strömenden Flüssigkeit berücksichtigen. Bei der Simulation von Flüssigkeitsströmungen auf einem Supercomputer teilen Wissenschaftler:innen den zu untersuchenden Bereich häufig in ein Gitter ein und berechnen dann das Flüssigkeitsverhalten innerhalb der einzelnen Gitterfelder für jeden „Zeitschritt“. Wenn die Größe des Gitters feiner wird, der Abstand zwischen den Zeitschritten verringert wird oder die Flüssigkeit schneller fließt (oder bei jeder beliebigen Kombination dieser Faktoren), wird die Simulation rechenintensiver.
Die äquivalente Simulation einer Wasserturbine mit RANS erreicht nicht den Detailgrad von Joßbergers hybrider LES-Simulation (oben). Bild: Universität Stuttgart, Institut für Strömungsmechanik und hydraulische Maschinen.
Im Wesentlichen möchten Forscher:innen das Verhalten von Flüssigkeiten auf der Grundlage fundamentaler physikalischer Prinzipien und mit so wenig Annahmen wie möglich berechnen. Doch selbst die leistungsfähigsten Computer sind oft nicht dazu in der Lage, das Verhalten von Flüssigkeiten auf allen erforderlichen Längen- und Zeitskalen vollständig zu berechnen. Daher enthalten bestimmte Simulationsmethoden Annahmen darüber, wie sich Strömungen auf den feinsten Skalen verhalten.
Bei der grundlegendsten Klasse von Turbulenzsimulationen, den Reynolds-gemittelten Navier-Stokes-Gleichungen (RANS), reduzieren Wissenschaftler:innen die Berechnungskomplexität, indem sie Durchschnittswerte verwenden, die annähernd das Verhalten in turbulenten Strömungen abbilden. Dies ermöglicht es ihnen, sich auf bestimmte Berechnungen zu konzentrieren und gleichzeitig zuverlässige Annahmen darüber zu treffen, wie sich andere Aspekte der Flüssigkeit verhalten könnten.
Eine andere Art von Simulationen vermittelt einen unverfälschten Eindruck größerer turbulenter Bewegungen beziehungsweise Wirbel im Fluid. Diese treffend als „Large-Eddy-Simulationen (LES)“ bezeichneten Verfahren ermöglichen es Forschenden, ihre Rechenressourcen auf die Aspekte des Fluids zu konzentrieren, die für den Wirkungsgrad der Turbine, die Belastungspunkte oder den Verschleiß während des Turbinenbetriebs die größte Rolle spielen.
Mithilfe des Hawk-Supercomputers des HLRS erstellt Joßberger eine möglichst detaillierte Simulation der Kaplanturbine. Dazu führt er hochauflösende Large-Eddy-Simulationen durch und ergänzt die Ergebnisse in Bereichen, in denen eine LES-Simulation zu rechenintensiv wäre, mit RANS.
Dank der Rechenleistung von Hawk kann Joßberger die Strömung durch die Turbine in höherer Auflösung untersuchen als üblicherweise möglich. „Für eine nach meinem Verständnis normale instationäre Simulation einer Kaplanturbine würde man normalerweise 50 bis 100 Zeitschritte für eine einzige Umdrehung der Turbine verwenden“, sagt Joßberger. „Derzeit führen wir etwa 1.600 Zeitschritte für eine Umdrehung aus. In Kombination mit dem deutlich feineren Berechnungsgitter bedeutet dies, dass unser Detaillierungsgrad um vier bis fünf Größenordnungen höher ist als das, was man normalerweise tun würde.“
Zusätzlich zu RANS und LES nutzen Ingenieurwissenschaftler:innen Supercomputer, um viel komplexere direkte numerische Simulationen (DNS) durchzuführen, die nahezu keine Annahmen zur Modellierung des Strömungsverhaltens verwenden. Eine aussagekräftige DNS, die der Komplexität realer Bedingungen oder Geometrien nahe kommt, lässt sich jedoch nur mit den schnellsten Computern der Welt durchführen. Das gelingt nur mit einem Fokus auf kleine Bereiche oder einfache Konstruktionen. Joßberger sieht seine Arbeit als Beitrag zum Informationsgewinn und zur Verbesserung der Modellierung und Simulation, die auf kommerzieller Ebene durchgeführt wird.
„Das ultimative Ziel ist es, zu verstehen, was in der Turbine passiert. Diese Informationen können wir im Anschluss mit weniger komplexen Simulationen vergleichen, um zu sehen, welche Effekte bei der Modellierung wirklich wichtig sind“, sagt er. „Mit diesem Ansatz lernen wir, was wir berücksichtigen müssen und was wir mit kleineren oder weniger komplexen Simulationen aus der Industrie erreichen können. Die Ergebnisse dieser Arbeit können als Benchmark für die Bewertung der Qualität weniger komplexer Modelle dienen.“
Nachdem er die Simulationen für 25 Umdrehungen der Turbine abgeschlossen hat, ist Joßberger zuversichtlich, dass er die realen Bedingungen für die Kaplanturbine unter einer Vielzahl von Bedingungen genau modellieren kann. Letztendlich könnte seine Arbeit dazu beitragen, dass Wasserkraftwerke eine zuverlässige, kostengünstige Quelle grüner Energie bleiben, die Stromnetze auf der ganzen Welt unterstützt.
— Eric Gedenk
Finanziert wurde Hawk vom baden-württembergischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (MWK) sowie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), vermittelt durch das Gauss Centre for Supercomputing (GCS). Hawk ist Teil der nationalen Supercomputing-Infrastruktur des GCS.