In der Landeshauptstadt Baden-Württembergs, im Mittelpunkt einer der dynamischsten Regionen Deutschlands für High-Tech Engineering, befindet sich das Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart. Diese Region ist nicht nur die Heimat von herausragenden und wichtigen internationalen Konzernen wie Daimler, Bosch und Porsche, sondern auch ein riesiges und florierendes Ökosystem aus kleinen und mittleren Unternehmen mit einer langen Tradition in der Herstellung qualitativ hochwertiger mechanischer, elektronischer und chemischer Produkte. In ihrer Gesamtheit betrachtet stellen sie einen wichtigen Motor für Deutschlands wirtschaftlichen Erfolg dar.
09. Jul 2019
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Diese regionale Kraft im Ingenieurwesen hat auch eine wichtige Rolle in der Gestaltung der Entwicklung des HLRS gespielt. Auf dem Campus der Universität Stuttgart gelegen — ein Zentrum für Forschung und Bildung mit dem Schwerpunkt auf Ingenieurwissenschaft und angewandte Wissenschaft – hat das HLRS bereits seit Jahrzehnten eine hochmoderne Infrastruktur für Computersimulationen, Visualisierung und Datenanalyse geschaffen. Diese Werkzeuge sind essentiell für die Erforschung von Naturphänomenen geworden, die so komplex sind oder in so kleinem Umfang auftauchen, dass es schwer ist, sie auf irgendeine andere Weise zu studieren. In der Ingenieurwissenschaft ist das Designen von Präzisionsprodukten, für die Deutschland bekannt ist, ohne Computermodelle unvorstellbar.
Das HLRS stellt schon seit Langem wichtige Höchstleistungsrechnerressourcen für Wissenschaftler zur Verfügung, unter anderen in Disziplinen wie computergestützter Flüssigkeitsdynamik, Physik, Chemie und Materialwissenschaft. Dies schließt nicht nur akademische Forscher ein, sondern auch Wissenschaftler in industrieller Forschung und Entwicklung – zum Beispiel in der Automobil- und Energieindustrie sowie in der Luftfahrt. Tatsächlich gehen ungefähr 10% der Rechnerauslastung des HLRS an industrielle Benutzer, eine nennenswerte Zahl in Deutschlands Supercomputer-Landschaft.
Eine Brücke zwischen der akademischen und der industriellen Welt zu schlagen, hat dem HLRS ermöglicht, seine Expertise im Bereich des Höchstleistungsrechnens weiterzuentwickeln und bei vielen verschiedenen rechnergesteuerten Ingenieursproblemen der realen Welt anzuwenden. Das Ziel des HLRS, die Ressourcen zur Verfügung zu stellen, die den Bedarf von Berechnungsingenieuren optimal decken, war die treibende Kraft für die Investitionen in eine neue Computer-Infrastruktur, neue professionelle Weiterbildungsangebote und Informatikforschung. So legt das HLRS die Grundlagen für zukünftige größere Supercomputer und konzentriert sich darauf, Werkzeuge und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen, die es den Ingenieuren ermöglicht, die Ressourcen optimal zu nutzen.
Das HLRS ist ein wichtiger Partner für Stefan Hildebrand vom Chemikalienhersteller Pfinder KG und ermöglicht es der Firma, neue Leistungen für seine Klienten in der Automobilindustrie zu entwickeln. Pfinder bietet auf Wachs basierte Korrosionsschutzmittel an, welche in der Autoherstellung typischerweise durch Roboter am Fließband aufgebracht werden. Als Teamleiter für Digital Engineering führt Hildebrand Computersimulationen durch, um diesen Prozess zu optimieren. Insbesondere benutzt er OpenFOAM, eine gängiges Softwarepaket für computerbasierte Flüssigkeitsdynamik, das berechnet, wie die Schutzschichten sich verhalten wenn sie von einer Düse eingespritzt werden, welche Wege die Tropfen in der Luft nehmen und wie diese einen Film auf der Oberfläche bilden werden. Diese Modelle werden genutzt, die Flüssigkeitsmenge, die für eine bestimmte Anwendung versprüht wird, zu optimieren, die beste Düsenanordnung zu identifizieren, und sicherzustellen, dass der Film vollständig schützend und langlebig ist.
Simuliertes Auftragen einer Wachsschicht auf einen beispielhaften Schweller über eine Düse. Die Farben geben die Dicke der Schicht an. Bild: Pfinder KG.
Pfinder besitzt zwar ein kleines, internes paralleles Computersystem. Wenn jedoch komplexere Fragen auftauchen oder wenn Resultate schnell erbracht werden müssen, wendet sich Hildebrand an das HLRS. „Wenn wir an einem Projekt für einen Klient arbeiten, das eine Simulation im großen Maßstab benötigt,“ erklärt Hildebrand, „können wir keine vier Wochen warten, um die Berechnungen auf unserem System laufen zu lassen. Das HLRS ermöglicht es uns, schnell einen Job durch hunderte von Rechenkernen laufen zu lassen im Gegensatz zu den 16, die wir hier haben. Anstatt vier Wochen zu warten, kann das HLRS uns Resultate in 3-4 Tagen liefern.“
Die Möglichkeit, sich an das HLRS zu wenden, bietet auch andere Vorteile gegenüber der Installation eines eigenen, größeren HPC-Systems. Da Pfinders rechnergestützte Arbeit starken Schwankungen unterliegt, macht es ökonomisch keinen Sinn, ein eigenes System zu installieren, nur damit es für ein paar Monate im Jahr genutzt wird. Des Weiteren kann Hildebrand davon ausgehen, dass das HLRS zuverlässige, hochmoderne Hardware nutzt, die auch stetig weiterentwickelt wird. Mit den Entwicklungen der HPC-Technologien mitzuhalten, wäre für ein kleines Unternehmen nicht möglich.
Zugang zu dieser Rechnerleistung zu haben, war für Hildebrand 2018 besonders wichtig, als sein Team zum ersten Mal die Anwendung von Pfinder-Beschichtungen nicht nur für eine Komponente, sondern für ein ganzes Automobil gleichzeitig simulierte. Dieser Leistungssprung in der Berechnung benötigte eine enorme Rechenleistung und lag weit über den Möglichkeiten des eigenen Systems. Er hofft, den HLRS Supercomputer auch in Zukunft weiterhin nutzen zu können, da die Möglichkeit, ganze Systeme zu modellieren, für seine Firma neue Marktchancen im Bereich Anwendungslösungen von Beschichtungen eröffnet.
Benutzern des HPC-Systems vom HLRS wird bald noch mehr Rechenleistung zur Verfügung stehen. Im November 2018 kündigten das HLRS und Hewlett Packard Enterprise eine gemeinsame Kollaboration an, um einen Next-Generation Supercomputer zu bauen. Dieser wird 3,5 mal schneller sein als Hazel Hen, dem aktuellen Aushängeschild des HLRS. Der erwartete Höchstleistungsrechner mit dem Namen Hawk wird der schnellste in der weltweiten industriellen Produktion werden. Er wird computergestützte Ingenieurswissenschaften und Forschung in sämtlichen Disziplinen der Wissenschaft und industriellen Anwendungen in Bereichen wie Energie, Klima, Mobilität und Gesundheit antreiben. Das Hawk-System wird mit seinen 5.000 Rechenknoten eine theoretische Höchstleistung von 24 PetaFLOPs aufweisen.
Am 30. November, 2018 unterschrieben die Universität Stuttgart und Hewlett Packard Enterprise den Vertrag für Hawk.
Ein wichtiges Merkmal von Hawk sind die Spezifikationen, die gezielt auf die Bedürfnisse von Berechnungsingenieuren zugeschnitten sind. Die Architektur von Hawk basiert auf der nächsten Generation von EPYC-Prozessoren des Chip-Herstellers AMD, die den Codenamen Rome trägt. Das HLRS hat die ROME-Prozessoren ausgewählt, da sie ein Memory-Subsystem nutzen, was für Bereiche wie rechnergestützte Strömungs- und Molekulardynamik sowie andere Forschungsgebiete, in denen viele Nutzer tätig sind, besonders geeignet ist. Außerdem komplettiert das neue System mit den AMD EPYC-Prozessoren die Einsatzmöglichkeiten der Rechner des Gauss Centre for Supercomputing (GCS) – einem Zusammenschluss der drei nationalen Höchstleistungsrechenzentren in Deutschland. Diese Auswahl unterstützt das Ziel des GCS, seinen Nutzern unterschiedliche Rechnerarchitekturen anzubieten.
„Wir sind sehr erfreut, dass Hawk durch den Leistungszuwachs eine Vorreiterrolle für unser Höchstleistungsrechnersystem einnimmt.“ sagt Prof. Dr. Michael M. Resch, Direktor des HLRS. „Der wahre Gewinner sind jedoch die Kunden, insbesondere die Berechnungsingenieure in der wissenschaftlichen Forschung und in der Industrie, die von der Möglichkeit profitieren werden, immer komplexere Simulationen durchführen zu können.“
Es gibt keinen Zweifel, dass große Höchstleistungsrechner größere Simulationen ermöglichen und sich die Anzahl der zur Verfügung stehenden Kernstunden für die Forschungsgemeinschaft wächst. Gleichzeitig wird aber deutlich, dass es nicht alleine ausreicht, Hardware zu bauen, um den stets wachsenden Bedarf der Berechnungsingenieure zu decken.
Software für ein großes paralleles Rechnersystem, wie Hazel Hen oder Hawk, zu schreiben ist weitaus komplexer als denselben Algorithmus auf einem Desktop Computer oder einem kleinem Computer Cluster anzuwenden. In der Tat benötigt man für die Entwicklung und Implementierung effektiver und effizienter Codes für HPC-Systeme ein Spezialwissen; dies wird besonders wichtig werden, wenn Höchstleistungsrechner Exascale erreichen, die nächstgrößere Ebene der Rechnerleistung nach dem aktuellen Petascale. Es wird nötig sein, die Codes für solche extrem parallelisierten Systeme zu optimieren, um die individuelle rechnergestützte wissenschaftliche Forschung zu beschleunigen und die Benutzung von Höchstleistungsrechnern effizienter zu gestalten – dies wird wiederum helfen, Energie zu sparen und HPC-Ressourcen für die größtmögliche Anzahl potentieller Benutzer zur Verfügung zu stellen.
Schon vor vielen Jahren hat das HLRS erkannt, dass die Zukunft des Höchstleistungsrechnens in der Entwicklung und Zunahme des Zugangs zu hochmodernen Codes liegt, die eine Skalierung von immer umfangreicheren Systemen ermöglicht. Aus diesen Gründen hat das Zentrum einige Projekte aufgestellt, die das Ziel verfolgen, Berechnungsingenieure auf die Zukunft vorzubereiten.
2018 wurde das HLRS zum Haupt-Koordinationszentrum für das neue Horizon 2020 geförderte Forschungsprogramm mit dem Namen EXCELLERAT (European Center of Excellence for Engineering Applications) ernannt. In einem gemeinsamen Netzwerk mit 13 Partnern in ganz Europa, wird EXCELLERAT der HPC- und der Ingenieur-Community Zugang zu skalierten Anwendungen zur Verfügung stellen und die Verfügbarkeit durch Technologietransfer unterstützen (siehe Seite 28 um mehr über EXCELLERAT zu erfahren).
Firmen wie Porsche, ANSYS und Festo haben den Bedarf an Ressourcen und Expertise erkannt und ihre Unterstützung für EXCELLERAT ausgesprochen. Der Flugzeughersteller Airbus, ist einer der ersten Teilnehmer des Projekts, weil EXCELLERAT ermöglicht, das akademische Wissen mit industriellen Bedürfnissen zu vernetzen.
Neben EXCELLERAT beteiligt sich das HLRS auch an Projekten, die sich auf das Identifizieren und Adressieren von Möglichkeiten für Höchstleistungsrechnen in speziellen industriellen Bereichen fokussieren. Seit mehr als zehn Jahren ist das HLRS ein wichtiger Partner des Automotive Solution Center Stuttgart (siehe Seite 30), eine Allianz verschiedener Firmen, die Simulationen für die Automobilentwicklung und -design nutzen. Das HLRS hat 2018 auch mit der Hochschule der Medien (HdM) und dem Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) das Media Solution Center, eine Allianz von Organisationen, die an der Erforschung von Möglichkeiten für Höchstleistungsrechnen in der Medienkunst interessiert sind. Für die kommenden Jahre plant das HLRS, dieses Solution Center-Modell auch in anderen Bereichen zu implementieren.
Seit langem ist es eine Hauptaufgabe des HLRS HPC-Schulungen anzubieten. 2018 hat das Zentrum ein neues Schulungsprogramm entworfen, das die Bedürfnisse von Ingenieuren und Wissenschaftlern in der Industrie aufgreift.
Das neue Programm, unter dem Namen Supercomputing-Akademie, richtet sich hauptsächlich an Berufstätige, die sich neben Beruf und Familie weiterbilden möchten. Hierzu wird ein Lernformat, das sogenannte Blended-Learning genutzt, das Präsenzseminare mit Online-Schulung verknüpft, wobei der Schwerpunkt der Weiterbildung auf der Online-Schulung liegt. Das hat den Vorteil, dass die Teilnehmenden zeit- und ortsungebunden lernen können.
Die Supercomputing-Akademie bietet eine flexible und modulare Weiterbildung, mit der Teilnehmer praktische Fähigkeiten im Bereich Supercomputing erwerben.
Die Supercomputing-Akademie – die vom Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg aus dem Europäischen Sozialfonds sowie dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gefördert wird – hatte im Juli das erste 15-wöchige Modul für „Paralleles Programmieren“ beendet. Von September bis Dezember wurde das Modul wegen hoher Nachfrage wiederholt. Anfang 2019 wird das zweite Modul „Simulation“ starten. Weitere Module wie „Performance Optimierung“, „HPC-Cluster: plan, build, run“, „Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit von HPC“, „Visualisierung“ und „Datenmanagement“ – Themen von großem Interesse bei Systemadministratoren, Programmierern und Anwendern – werden folgen.
Die Supercomputing-Akademie ist ein Bestandteil eines permanenten Dialoges zwischen dem HLRS und der Industrie. Durch die Zusammenarbeit mit dem gemeinnützigem Unternehmen Sicos BW hat das Zentrum in den letzten zwei Jahren das Industrial HPC User Roundtable (iHURT) organisiert, ein ganztägiges Treffen mit dem Ziel, den Informationsaustausch in industrieller Forschung und Entwicklung zu fördern. Dieser Dialog ermöglicht es dem HLRS, die wesentlichen Herausforderungen, mit denen HPC-Nutzern in der Industrie konfrontiert werden, zu verstehen und hierfür die Entwicklung von neuen Infrastrukturen und Dienstleistungen in den kommenden Jahren weiterzuführen.
Im kommenden Jahrzehnt werden Simulation, Visualisierung, Datenanalyse und Machine Learning ein wesentlicher Bestandteil in der Forschung und Entwicklung sein und eine tragende Rolle übernehmen, um die wichtigsten Herausforderungen anzugehen. Durch Identifizieren und Fokussieren auf die Bedürfnisse von Ingenieuren und Wissenschaftlern ist das HLRS bestrebt, einen größtmöglichen Zugang zu diesen Werkzeugen zu liefern.
Die Installierung des Hawk, der nächsten Generation von Höchstleistungsrechnern, 2019 wird ein bedeutender Schritt in Richtung dieses Ziels sein. Zusätzlich sind das ambitionierte Schulungsprogramm des HLRS und seine weitreichenden Kontakte in die Industrie wichtige Teile dieser Bemühung. Durch diese Aktivitäten hat sich das HLRS als zentraler Partner für Innovation in Baden-Württemberg, in Deutschland, in Europa und darüber hinaus positioniert.
— Christopher Williams